Ergänzung zur Erkenntnis durch Kunst:

"Möglicherweise hat Arnheim recht, wenn er glaubt, das Denken funktioniere eigentlich nur über den anschaulichen Begriff, über interne visuelle Prozesse und nicht vermittels des streng definierten Begriffs. Immerhin haben viele große Entdecker und Erfinder immer wieder die Rolle der Vorstellung im kreativen Prozess hervorgehoben (z.B. Einstein).

Als Schüler gelang es uns durchaus, den Kunstlehrer mit der Frage zu ärgern, warum denn das ganze Kunstwerk mühevoll hergestellt werden müsse, wenn doch die Botschaft, die das Ergebnis der Analyse des Kunstunterrichts war, in einem oder wenigen Sätzen vermittelt werden könne.

Erst heute, aus der Kenntnis über bildhafte Denkprozesse und über unbewusste Verarbeitungsmodi, ist mir eine Antwort möglich. Wenn die Analyse die Bedeutung korrekt in Worte übersetzt, so reduziert sie sich auf einige wenige Sätze. Die Wirkung der nonverbalen Kommunikation durch Bilder ist aber eine andere. Bilder werden nicht so bewusst verarbeitet wie verbale Botschaften, stehen aber gleichzeitig dem emotionalen Leben viel näher. Es entwickelt sich ein tiefes Gefühl des Verstehens, gerade ohne verbale Analyse. Diese nämlich ruft die "Wachhunde des Intellekts" auf den Plan und kann (wie so oft im Schulunterricht) die Wirkung der nonverbalen Kommunikation zerstören.
Bildhaft-räumliche Denkprozesse sind als eigenständiger Prozess auch empirisch nachgewiesen."


Martin Schuster: Wodurch Bilder wirken, Psychologie der Kunst, Seite 179, Du Mont, 2011, ISBN 978-3-8321-9358-4


Unser Kommentar hierzu: Wir selbst haben zwar auch ein gewisses- aus eigener Erfahrung eigentlich sogar ganz erhebliches- Misstrauen gegenüber einem vom anschaulichen Begriff losgelösten Denken. Wir kennen persönlich davon einige eindrucksvolle Beispiele. Wir sind allerdings davon überzeugt, dass das Denken in bestimmten Bereichen der Erkenntnis nicht nur über den anschaulichen Begriff erfolgt. Wer sich nur auf die Anschaulichkeit der Begriffe verlässt, mit denen er operiert und aus denen er Schlussfolgerungen zieht, der gerät u.U. schnell an eine Grenze der Erkenntnis oder kommt sogar zu Fehlschlüssen.

Gerade in Teilbereichen der Mathematik, Mechanik, allgemein der Physik ist teilweise eine hohe Abstraktionsfähigkeit gefordert, mit deren Hilfe man zu überraschenden Ergebnissen und zur Feststellung von tieferen Gemeinsamkeiten von Sachverhalten, die auf den ersten Blick überhaupt nichts miteinander zu tun haben, gelangt. Bei der Forschung im Bereich der atomaren, insbesondere aber der subatomaren Teilchen (Quantentheorie) scheint das Beharren auf dem anschaulichen Begriff nicht "zielführend" sein und man gerät leicht auf "Abwege". Das ist wohl auch aus der Evolution der menschlichen Vernunft erklärlich- wo der Mensch bei der Weitergabe seiner Gene und für das eigene Überleben einen Vorteil hatte, sofern er in anschaulichen Begriffen denken konnte. Abstraktes Denken und Operationen mit abstrakten Begriffen waren damals nicht gefragt und boten auch keinen Vorteil.

Abstrakte Modelle, die auf Anschaulichkeit verzichten sind dennoch teilweise in der Lage ganz erstaunliche Ergebnisse und wertvolle Erkenntnisse zu liefern, die mit der Praxis übereinstimmen. Im ersten Satz des obigen Zitats stört uns deshalb das "nur" ziemlich stark. Anzumerken ist hier allerdings auch, was für den einen "anschaulich" ist, kann für den anderen "völlig unanschaulich" sein. Auf die möglichen Gründe, wie Gewöhnung, wollen hier allerdings hier nicht eingehen.

Die Erwähnung von "Einstein" im obigen Zitat führt uns allerdings vor Augen, dass Einsteins sich durchaus auch irren konnte: Seine Ablehnung der zumindest teilweise sehr unanschaulichen Quantentheorie, die in seiner Aussage ihren Ausdruck fand: "Gott würfelt nicht" ist allgemein bekannt. Im Fall eines einzelnen betrachteten Teilchens wird- so ist die allgemeine Erkenntnis- eben doch "gewürfelt". Nur über die Statistik ist dann wieder im makroskopischen Bereich eine Vorhersagbarkeit gegeben. Dann sind auch die beschreibenden Begriffe wieder relativ anschaulich. Wir können "Gott" eben nicht vorschreiben, ob und wann er würfelt.

Zum zweiten Abschnitt des Zitats: Die Aufgabe von Kunstwerken ist es nicht unbedingt Botschaften zu vermitteln, die sich dann verbal in wenigen Sätzen zusammenfassen lassen. Dies haben wir an anderer Stelle dieser Webseite näher ausgeführt. Wir persönlich sehen z.B. viele unserer Werke als ein Interpretationsangebot an den Betrachter an, das ihn zu ganz individuellen Erkenntnissen und Reaktionen führen kann. Dabei kann es durchaus sein, dass die Erkenntnis sich nicht verbal in wenigen Sätzen zusammenfassen lässt.

In dem Teil des Zitats "Wenn die Analyse die Bedeutung korrekt in Worte übersetzt, so reduziert sie sich auf einige wenige Sätze." irritiert uns der Begriff "korrekt". Es gibt wohl nicht wenige Fälle, gerade wenn man an eine mögliche "Unausschöpflichkeit" eines Kunstwerks denkt, bei denen es gar keine "korrekte" Übersetzung gibt.

Dabei reden wir hier nicht der Beliebigkeit das Wort, sondern bevorzugen es, eine Basisinformation anzugeben, die das Thema des Werkes "absteckt". Nur dann wird es auch zu einem Gedankenaustausch mit einem anderen Betrachter kommen können, der nicht nur im ganz allgemeinen verbleibt. Bilder, allgemein Werke der bildenden Kunst, sprechen andere Bereiche des Denkens und Fühlens an, als verbale Werke - das ist unbestritten. Was das Gefühl des Verstehens anbelangt, von dem im obigen Zitat die Rede ist, kann aber unseres Erachtens gerade durch einen verbalen Austausch mit einem anderen Betrachter- geeignete Eigenschaften seiner Person vorausgesetzt, ein tieferes, facettenreicheres Verständnis des Werkes und möglicherweise sogar eine bessere Selbsterkenntnis erreicht werden. Auch kann dadurch unmittelbar die Erfahrung gewonnen werden, dass jeder Mensch seine eigene Wahrheit hat. Dazu ist allerdings ein verbaler Austausch zwischen den Betrachtern notwendig, ein Austausch von Mitteilungen, die sich sinnvollerweise nicht auf die gefühlsmäßige Ebene beschränken sollten- da dort eine Nachvollziehbarkeit und ein Verständnis der Position des anderen Betrachters nur sehr begrenzt möglich sein dürfte. "Es gibt keine Tatsachen, es gibt nur Interpretationen", diesen Satz wird man erst durch eine geeignete Verbalisierung des Gesehenen nachvollziehen können.

Das "tiefe Gefühl des Verstehens" kann letztlich auch sehr oberflächlich sein, was der Betrachter möglicherweise erst Jahre später- mit anderer Lebenserfahrung- feststellt. Wir sind zwar auch dem "reinen Intellekt" ziemlich misstrauisch gegenüberstehend- finden aber persönlich eine Symbiose von Gefühl und Intellekt bei der Rezeption noch am fruchtbarsten.

Falls man den Intellekt bei der Rezeption von Kunstwerken lediglich als "Anführer" von Wachhunden ansieht, dann hat man nach unserer Auffasung wohl doch ein zu enges Bild von der Rolle des Intellellektes bei der Rezeption von Kunstwerken. Auch im Leben spielen Vernunft (Intellekt) und Gefühl gleichermaßen eine Rolle, wieso sollte es dann bei der Aufnahme von Kunstwerken, die sich auf das menschliche Leben beziehen, anders sein?

Was nun den zitierten Schulunterricht anbelangt- wir wären froh gewesen, wenn die StudentInnen in den von uns gehaltenen Vorlesungen bei nicht wenigen Vorgängen und Sachverhalten einer "verbalen" Analyse und Kommunikation mächtiger gewesen wären als es tatsächlich der Fall war. Andererseits erscheint uns gerade in der Schule so manche "nonverbale" Kommunikation recht bedenkliche Formen anzunehmen. Damit also keine Missverständnisse entstehen- auch wir stehen der heutigen Schulausbildung mit ihrem teilweise- nach unserem Verständnis teilweise ideologisch eingefärbten Charakter ziemlich skeptisch gegenüber ... . .

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