Philosophie und Weisheit

 

- Das Verhältnis von Philosophie und "reflektierter Lebenskunst" ist nach unserem Verständnis ähnlich wie das Verhältnis von Philosophie zur Weisheit zu beurteilen, da reflektierte Lebenskunst und Weisheit zwar nicht identisch sind, aber dennoch nicht unerhebliche Gemeinsamkeiten aufweisen. Die "Selbstbezeichnung" der Philosophie als "Freundin der Weisheit" ist in der Vergangenheit programmatisch unterschiedlich ausgelegt worden, wodurch sich auch das eigene Selbstverständnis geändert hat.

Wir zitieren aus Wikipedia (2014): "Das Verhältnis von Philosophie und Weisheit wird dort zum Thema, wo erstere aus der letzteren tatsächlich oder vermeintlich entspringt, sich von älteren oder zeitgleichen Weisheitstraditionen explizit abgrenzt oder aber sich andererseits mit der Weisheit selbst – möglicherweise nur in abgeschwächter Form als das Streben nach dieser als grundsätzlich unerreichbarem Ideal – als identisch erklärt."

Aus einer grundsätzlichen Ablehnung des Begriffes "Lebenskunst" (im Sinne einer reflektierten Lebenskunst) durch moderne Philosophieströmungen (was durch die Verwendung des Begriffes "Lebenskunstlehre" ausgedrückt wird) lässt sich auf deren gewandeltes Selbstverständnis, auch im Sinne einer stärkeren Akademisierung und Verwissenschaftlichung - ein heutzutage ganz allgemein verbreiteter, letztlich auch verständlicher Trend- schließen. In fast jede Kritik gehen nicht nur die Eigenschaften des Kritisierten, sondern auch die Eigenschaften, Motive, Interessen, das Selbstverständnis und die dadurch beeinflusste Interpretation des Sachverhaltes durch den Kritiker ein: Für Forschung und Lehre eignen sich eben die "klassischen" Inhalte der Philosphie, die sich unmittelbar auf eine "vernünftige" Lebensführung beziehen, wohl weniger als solche Inhalte, die allgemein stärker theorieorientiert sind- zumindest ist das unsere Vermutung. Das Verhältnis dieser "modernen Philosopieströmungen" zur ihrer Grundlage "Weisheit" und "Betrachtung der Grundlagen einer vernünftigen Lebensführung" erscheint uns nicht unproblematisch, gerade weil die Gestaltung und das Streben nach einem möglichst "gelingendem Leben" nach unserer Auffassung eine besonders wichtige Bedeutung für den Einzelnen haben. Sicherlich reichen die Erkenntnisse aus der Philosophie allein- der allgemeinen Philosophie und der Philosophie der Lebenskunst (Lebenskunstlehre?) nicht aus, um dem eigenen Leben eine umfassende individuelle Erkenntnis- und Entscheidungsbasis zu geben. Das Umfeld der Menschen und die möglichen Entscheidungsalternativen sind komplexer im Laufe der Entwicklung geworden, neue Erkenntnisse aus der Psychologie, der Lebenslaufforschung, Medizin, ... sind hinzugekommen, die einen Einfluss auf die einer Situation angemessenen Entscheidungen haben sollten.

Falls man die Lebenskunstphilosophe (Lebenskunstlehre?) als alleinige Basis für die Bestimmung der eigenen Position und des Strebens nach einem "erfüllten", "gelingendem" und "sinnvollen" Leben ansieht, dann wäre allerdings die folgende Kritik an ihr nicht unberechtigt- jedoch ist dies wirklich zu erwarten? In welchem Maße konnte und kann denn die allgemeine Philosophie selbst entsprechende Erwartungen nach absoluter, umfassender Erkenntnis- die auch in praktisches Handeln umgesetzt werden kann- erfüllen? Wer sich dies bewusst ist, wird wohl auch seine Erwartungen hinsichtlich der "Lebenskunstphilosophie" nicht allzu hoch ansiedeln. Sie gibt allerdings viele Anregungungen zum Nach- und Weiterdenken und zumindest eine Grundlage, eine individuelle Weltsicht und daraus folgende Handlungsoptionen bei Berücksichtigung der Unwägbarkeiten "des ganz normalen Lebens" und der eigenen Konstitution zu entwickeln. Dies gilt umso mehr, wenn die Lebenskunstphilosophie keine eindeutigen Rezepte zu einem guten Leben offeriert, sondern auf sinnvolle Wertungs- , mögliche Glücks- und Sinnerfahrungen, sowie Handlungs-Optionen hinweist.

Zur Kritik an der "Philosophie der Lebenskunst" ("Lebenskunstlehre"):
"Eine (solche) Kritik erscheint umso notwendiger, als Verdacht besteht, dass die Vertreter jener Bewegung nicht nur die Philosophie, sondern auch das menschliche Leben überfordern; die Philosophie, weil Erwartungen an sie geweckt werden, die sie angesichts eines zu befürwortenden Selbstverständnisses besser nicht mehr zu erfüllen trachten sollte, und das Leben, weil es zum verfügbaren Material eines autonomiestolzen Individuums erklärt wird, obwohl doch naturwissenschaftliche, soziologische und sozialpsychologische Thesen über die vielfältige Bedingheit unseres Handelns dringend empfehlen, von alten Selbstmächtigkeitsillusionen Abstand zu nehmen."
(Kritik der Lebenskunst - Herausgegeben von Wolfgang Kersting und Klaus Langbehn, Suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Seite 8, 2007, ISBN 978-3-518-29415-4)

Ob ein "Verdacht" besteht oder auch nicht, ist wohl auch abhängig von der Disposition dessen, der den Verdacht hegt. Was die "Erwartungen" anbelangt, "die sie (die Philosophie) angesichts eines zu beführwortenden Selbstverständnisses besser nicht mehr zu erfüllen trachten sollte", dürfte dies für nicht wenige Kapitel der Philosophiegeschichte- sehr vorsichtig ausgedrückt- auch oder sogar noch viel mehr gelten.

Die "Überforderung des menschlichen Lebens" und die "alten Selbstmächtigkeitsillusionen" betreffend, die sicherlich für einen Großteil der Ratgeberliteratur zutreffen, zitieren wir hierzu aus Wilhelm Schmid: Philosophie der Lebenskunst, Seite 12, Suhrkamp,1998, ISBN 3- 518-28985- 3.

"Wo auch immer die Frage nach dem eigenen Leben aufbricht, ist es ein Anliegen einer Philosophie der Lebenskunst, die Suche des einzelnen Individuums nach einem bewusst gewählten Modus der Existenz zu unterstützen. Zweifellos ist dafür eine Arbeit der Aufklärung erforderlich, die ein ebenso kognitiver wie asketischer Prozess ist und ihre Wissensarbeit darauf ausrichtet, das eigenständige Denken und die eigene Lebensführung ermöglichen."

Hier ist lediglich von einem Anliegen der Philosophie der Lebenskunst die Rede, die Suche des einzelnen Individuums "nach einem bewusst gewählten Modus der Existenz zu unterstützen". Die dafür erforderliche Arbeit der Aufklärung richtet sich darauf aus, das eigenständige Denken und die eigene Lebesführung zu ermöglichen. Alte "Selbstmächtigkeitsillusionen" sehen wir hier nicht durchscheinen. Das eigenständige Denken weist uns darauf hin, dass jede "Formung" eines verfügbaren "Materials" (hier des Lebens) von den konkreten Randbedingungen und möglichen Nebenwirkungen abhängig ist, was unmittelbar auf die vielfältige Bedingheit unseres Denkens und Handelns verweist und die möglichen Selbstmächtigkeitsillusionen doch sehr beschneidet.

Dass "Selbstmächtigkeitsillusionen" nicht zum Allgemeingut einer "reflektierten Lebenskunst" gehören, lässt sich auch aus einem weiteren Zitat aus Wilhelm Schmid: Schönes Leben, Einführung in die Lebenskunst, Seite 26, Suhrkamp, 2005, entnehmen:

"Auf die Zusammenhänge, in denen Lebenskunst sich entfalten kann, zielt sodann die strukturelle Frage: In welchen Zusammenhängen lebe ich? Wie lassen sich Zusammenhänge herstellen, in denen sich leben lässt? Ein grundlegender Aspekt der Lebenskunst ist es, die eigene Existenz im Horizont übergreifender Strukturen zu sehen; insbesondere soziale und gesellschaftliche Zusammenhänge kommen hier in den Blick, die durchweg von Machtstrukturen durchzogen sind. Die Aufmerksamkeit gilt der Macht, die über das Subjekt ausgeübt wird, jedoch auch derjenigen, zu deren Ausübung es selbst in der Lage ist, um nicht zum bloßen Untertan zu werden, vielmehr die Umkehrbarkeit von Machtbeziehungen geltend zu machen, schließlich aber auch sorgsam mit eigener Macht umzugehen und nicht selbst unbedacht an Herrschaftsverhältnissen mitzuwirken."

Auch das weitere Zitat lässt nicht unbedingt darauf schließen, dass "das Leben als verfügbares Material eines autonomiestolzen Individuums erklärt wird":

"Aber es empfiehlt sich nicht, von der Lebenskunst mit allzu viel Pathos zu sprechen, denn erfahren wird sie in aller Regel als abwesende. Lebvenskunst ist nicht das, was wir haben, sondern das, was uns fehlt und immer wieder auf terrible Weise fehlen wird."

(Wilhelm Schmid: Schönes Leben, Einführung in die Lebenskunst, Seite 34, Suhrkamp, 2005)

Sofern man die Anregungen und Erkenntnisse der Lebenskunstphilosophie als einen Basis-Baustein von mehreren für die Integration in das eigene Leben ansieht, kann diese nach unserer Auffassung wertvolle Anregungen zum "Weiterdenken" auf einem Gebiet geben, das letztlich von zentraler Bedeutung für das Gelingen eines erfüllenden, "gelingenden" Menschenlebens ist. Ob nun die Lebenskunstphilosophie eine Philosophie oder gar eine "Lebenskunstlehre" und ob die Lebenskunst eine Kunst ist- die Ergebnisse einer solchen begriffliche Diskussion sind für uns deshalb von keiner Bedeutung. Für das Selbstverständnis von zeitgenössischen Philosophen sind solche begriffliche Festlegungen, die letzlich eine Distanzierung von den eigenen Grundlagen bedeuten- aus durch uns durchaus nachvollziehbaren Motiven- jedoch offensichtlich von größerer Wichtigkeit.

Wir haben den Eindruck, dass bei der Kritik der (reflektierten) Lebenskunst und deren Auffassung (Interpretation) als "Lebenskunstlehre" teilweise recht undifferenziert vorgegangen wird. Nicht weniges insbesondere im Bereich der Ratgebergeberliteratur rechtfertigt sicherlich den Eindruck von alten Selbstmächtigkeitsillusionen. Aber gilt dies wirklich für die ganze Bandbreite dessen, was dem Bereich der "reflektierten Lebenskunst" zuzuordnen ist? Wir persönlich haben nicht diesen pauschalen Eindruck. Kritik- das sei hier ganz allgemein gesagt besteht nicht selten darin, dass man sich zunächst mehr oder weniger kunstvoll einen Popanz schafft- durch Weglassen, durch Interpretation, ...., auf den man dann kräftig einprügeln kann.

Wir führen in diesem Zusammenhang das auch an anderer Stelle dieser Webseite aufgeführte Zitat von Andre' Comte-Sponville auf:
( Andre' Comte- Sponville: Glück ist das Ziel, Philosophie der Weg, Diogenes Verlag, 2010, ISBN 978 3 257 24191 4

Seite 173:
""Das der Weisheit abträglichste Übel ist zweifellos die die Dummheit", schreibt Alain. Folglich müssen wir nach einem Leben streben, das so intelligent wie möglich ist. Doch Intelligenz genügt nicht, auch Bücher nicht. Wozu so viel denken, wenn es für so wenig Leben ist? Wieviel Intelligenz in den Wissenschaften, in der Wirtschaft, in der Philosophie? Und wieviel Dummheit im Leben der Wissenschaftler, Geschäftsleute, Philosophen ... Intelligenz hat nur insofern mit Weisheit zu tun, als sie unser Leben verwandelt, erhellt oder anleitet. Es geht nicht darum, Systeme zu erfinden, nicht darum, mit Begriffen zu jonglieren, sie alle sind nur Mittel, der Zweck, der einzige Zweck, besteht darin, ein wenig besser zu denken und zu leben- oder ein wenig weniger schlecht."

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