"Schließlich spiegelt Kunst das Selbst, den Kern der eignen Persönlichkeit, indem z.B. der Bildinhalt durch die dargestellten Geschichten bzw. Charaktere die Beschäftigung mit der eigenen Psyche anregt (u.a. "selbstreflexive Ebene").

Aus der Tradition der Psychologie ist längst bekannt, dass ein Betrachter von sich selbst und seinen persönlichen Bedürfnissen erzählt, wenn er z.B. eine Rorschachfigur beschreibt. Die abstrakte Form einer Rorschachfigur bietet dem betrachteten und interpretierenden Subjekt eine Vielzahl von Beschreibungsmöglichkeiten, von denen diejenigen ausgewählt werden, welche vermutlich eng in Zusammenhang mit dem aktuellen psychologischen Zustand des Betrachters stehen. (...). Es ist daher plausibel anzunehmen, dass auch bei der Kunstbetrachtung Prozesse ablaufen, die über die Emotionen und Kognitionen des Betrachters hinausreichen. Der Betrachter bzw. die Betrachterin sieht sich u.a. selbst und die eigene Lage.

Aus der Entwicklungspsychologie ist ein zweites Beispiel zu nennen. Mit Hilfe des Rosenzweig-P-F-Tests (...) können Personen z.B. Auskunft über ihre Probleme geben, indem sie skizzenhaft gezeichnete Alltagssituationen , in denen jeweils eine Person frustriert wird, mit einem Dialog vervollständigen. Dieser vom Betrachter in die Skizze hineingelegte Dialog wird wieder als Äußerung der aktuellen innerpsychischen Lage des Betrachters interpretiert. Wie beim Rorschachtest stellt der Betrachter einen Bezug zwischen sich selbst und dem Bild/Skizzeninhalt her. Neben der emotionalen Befindlichkeit spielen auch die Bereiche der Wahrnehmung und der Kognition sowie vor allem die persönliche Geschichte des Betrachters eine Rolle.

Aus dem bisher Gesagten lassen sich fünf übergeordnete Bereiche festhalten, die bei der Kunstbetrachtung eine Rolle spielen könnten:

1. Emotion
2. Motivation
3. Kognition
4. Wahrnehmung
5. Selbst

Diese stellen zugleich die wichtigsten Bereiche der Allgemeinen Psychologie dar und gewährleisten somit eine umfassende Betrachtungsweise der Wirkung von Kunst."

Jens Rowold: Auf den Inhalt kommt es an, Herausgeber Walter Schurian, LIT- Verlag, 2001, ISBN 3-8258-5636-4

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