ALLGEMEINE WIRKUNGEN DER KUNST AUF DAS INDIVIDUUM UND DIE GESELLSCHAFT

"I believe that the only real value of the medal, as with everything else,
lies in its human function and in its human importance." (John Cook)


"Kunst ist kein Luxus, sondern kommuniziert Werte, aber auch Verhaltensentwürfe und Weltanschauungen." (Martin Schuster)

"Seit Kant, Schelling, Schopenhauer, Nietzsche, Heidegger und anderen besitzt die Kunst eine völlig unersetzliche Erkenntnisfunktion, die weder von Wissenschaft noch Philosophie kompensiert werden kann." (Wieland Schmied)

"Zu den Dingen, welche einen Denker in Verzweiflung bringen können, gehört die Erkenntnis, dass das Unlogische für den Menschen nötig ist, und dass aus dem Unlogischen vieles Gutes entsteht." (Friedrich Wilhelm Nietzsche)

Ist "Kunst" heutzutage eine Kompensation von Religion?

Wir gehen hier etwas näher auf die Basis und die Ausrichtung unseres Werks ein und stellen dieses in einem größeren Zusammenhang mit der bildenden Kunst allgemein, der Psychologie, der Philosophie und der kulturellen Evolution dar. Damit wird der Leser dieser Zeilen und der Betrachter der Reliefabbildungen vielleicht dazu angeregt, seine eigene Position nicht nur hinsichtlich bestimmter Kunstwerke oder Kunstrichtungen zu bestimmen, sondern auch seine persönliche Haltung zum Verhältnis zwischen der Kunst und seiner eigenen Lebenssituation, zwischen der Kunst also und dem, was ihn unmittelbar selbst bewegt und betrifft.

Eigentlich müsste "man" hier zunächst definieren, was "man" unter "Kunst" versteht. Die Bandbreite dessen, was als "Kunst" bezeichnet wird, ist jedoch äußerst groß und sowohl von Zeit und Ort als auch von vielfältigen Interesssen- nicht nur wirtschaftlichen- abhängig. Die Definitionsgewalt, die "Lufthoheit" über den Kunstbegriff, also die Definition, was gute oder schlechte Kunst ist oder möglicherweise gar keine Kunst, ist in der Praxis auch eine Machtfrage, spätestens hier kommen dann noch weitere externe Abhängigkeiten ins Spiel. An dieser Stelle wollen wir hier nur die Summe unserer Erkenntnis mitteilen, nachdem wir uns mit etlichen Kunstdefinitionen, Kunstbegriffen und auch einigen Kunsttheorien vertraut gemacht haben: "Kunst ist Kunst und sonst gar nichts!" Das ist doch schon mal was.

Zur angemessenen Beurteilung des heutigen Begriffes "Kunst" und seiner Zeitabhängigkeit ist es nach unserer Ansicht geboten, sich mit seiner historischen Bedeutungswandlung und seiner Absetzung vom "Handwerk" zu befassen, was wir hier aus Platzgründen nicht unternehmen wollen- abgesehen davon, dass dies für uns nur ein Thema am Rande ist.

Eine einigermaßen allgemein akzeptable Definition des Begriffes "Kunst" zu geben, erscheint uns also unmöglich. Zu sehr ist der Begriff seit ca. 1900 grundsätzlich aufgeweicht und erweitert worden, spätestens seit Marcel Duchamps "Urinoir" oder "Pissoir" und seinem "Flaschentrockner". Kunst ist heute eine Worthülse, in die "man" fast alles stopfen kann, vorausgesetzt, der Gegenstand, die Aktion, ... hat keinen unmittelbaren, praktischen Zweck- außer dem des Geldverdienens und dem des davorgeschalteten "Bekanntwerdens"- falls erforderlich mit einem kleinen "Skandal" oder "Skandälchen". Wir wollen deshalb uns nicht mehr mit dem Begriff "Kunst" näher befassen, da er sehr diffus und auch widersprüchlich ist- allzu oft von persönlichen und gesellschaftlichen Gruppen-Interessen und Netzwerken- Galeristen, Kunstwissenschaftlern, Museen, Redakteuren, Sammlern- in seiner Definition beeinflusst und bestimmt.

Eine logische Konsequenz daraus ist anlässlich der DOKUMENTA 2012 gezogen worden (Bild.de, 9.6.2012):
"Die Teilnehmerliste der 13. Documenta umfasst 297 Namen, darunter auch Wissenschaftler, Mitarbeiter des Kuratorenteams und bereits gestorbene Künstler wie Salvador Dalí.
Was diese Teilnehmer ausstellen, „mag Kunst sein oder nicht”, hatte documenta-Chefin Christov-Bakargiev bei der Vorstellung ihres Konzepts erklärt. „Die Grenze zwischen dem, was Kunst ist und was nicht, wird unwichtiger.”"

Aus der Unsicherheit, was denn nun Kunst eigentlich ist und welche Bewertungskriterien hierfür gelten, folgt natürlich auch die Schwierigkeit eine Beschreibung dafür zu formulieren, was denn einen Künstler "ausmacht". Er macht "Kunst", was sonst? Ist jeder Mensch ein Künstler?


"Die Kunst ist frei, und der Betrachter ist es ebenso. Er darf Ich sagen und dieses Ich gegen alle Künstler, Händler, Kritiker behaupten. Er muss sich nicht von anderen erzählen lassen, was er sehen soll. "

 

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Medaillen und Kunstmedaillen haben in der Kunst eine ziemlich
stiefmütterlich behandelte Rolle inne. Wir zitieren hierzu Jose Teixeira, "Professor at the Fine Arts School of Lisbon University since 1998":

" The plastic arts are the materialisation of thought and feeling, united by whatever two- or three-dimensional basic material the artist chooses to work with. Unlike painting and sculpture- art forms that saw a break away from the stigma of manual labour during the Renaissance period, placing the status of the artist on a par with that of the intellectual- medals are still considered an inferior art form, more a product of craft-work than a vehicle for the expression of aesthetic thought and feeling, capable of making its own social statement. Evidently this is not a question of the size of a medal- quite the opposite. It is quality, not quantity, that is of the essence here."

Teixeira entwickelt von dieser Vorstellung ausgehend sein Konzept der modernen Medaille.

Wir sind übrigens der gleichen Auffassung wie Teixeira, nur haben wir daraus andere Schlussfolgerungen gezogen.

 

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Interessanter und auch sinnvoller als die Frage "Was ist Kunst?", weil die zu erwartenden Antworten differenzierter und für praktische Schlussfolgerungen geeigneter sind, erscheint uns hingegen die verwandte Frage, welche Auswirkungen und Eindrücke vom Menschen hergestellte Gegenstände oder durchgeführte Aktionen auf ihn selbst und andere haben können- wobei diese Gegenstände und Aktionen nur dadurch gekennzeichnet sind, dass sie keinem unmittelbaren praktischen Nutzen dienen- also die Dinge, die als Kunstwerke "durchgehen" können. Wir haben den Begriff "unmittelbar" hier durchaus mit Bedacht gewählt. Es gibt, was den praktischen Nutzen anbelangt, unserer Auffassung nach, allerdings durchaus fließende Übergänge.

Sicherlich ist damit die Subjektivität in den Antworten zu dieser Frage nicht vermieden, aber die möglichen Antworten können systematischer, vollständiger gefasst und auch besser auf ihren psychologischen Kern zurückgeführt werden. Der Betrachter kann sich somit über seine eigenen Beweggründe durch die gewonnene Übersicht besser Rechenschaft geben, was ihn auch zu einer besseren Selbsterkenntnis, insbesondere durch die Beantwortung der Fragen führen kann : Was ist mir persönlich wichtig? Was ist mir persönlich an der Kunst (im vorher weitgefassten Sinne) wertvoll?- und im Zusammenhang im Bezug zu seinem eigenen Leben: Was sind meine persönlichen Werte? Wo finde ich meinen Sinn, mein Sinnerleben? Wenn Kunst letztlich für den Menschen "da ist", also "l'art pour l'art" nicht das primäre Kriterium und Ziel, erscheint uns die Frage nach Kriterien zur Beurteilung von Werken hinsichtlich ihres Angebots von potentiellen Wirkungen auf den Betrachter nur die logische Konsequenz und von höherer Bedeutung zu sein als das Suchen und Erfüllen von irgendwelchen Definitionen "was wohl Kunst ist" und die Festschreibung, welche Eigenschaften ein Werk haben muss, um formal als Kunstwerk zu gelten. Durch eine inflationäre, häufig nicht nachvollziehbare und widersprüchliche Verwendung eines Begriffes- auch von Fachleuten- wird dieser schließlich ziemlich aussagelos- was nicht verwunderlich und letztlich auch nicht beklagenswert ist.

Fragestellungen, wie- "Welche (ästhetischen) Wirkungen können Kunstwerke auf den Betrachter haben?" sind speziell Gegenstand der Kunstpsychologie. Wir werden an anderer Stelle dieser Webseite noch einige Erkenntnisse wissenschaftlicher Arbeiten aus der Kunstpsychologie anführen- die unmittelbaren Bezug zu unserem Werk haben.

 

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Es ist nicht selbstverständlich, dass "Kunst" und "Kunstwerke" im Verlauf der gesamten Menscheitsgeschichte im gesellschaftlichen und privaten Bereich eine sehr große Bedeutung hatten, haben und haben werden:

Das gibt Anlass zur Vermutung, dass diese hervorragende Stellung der Kunst einen Grund in der natürlichen und kulturellen Evolution des menschlichen Lebens haben könnte. Diese Spur haben verschiedene Autoren verfolgt und in bezug auf einige Bereiche der Kunst durchaus auch plausibel gemacht:

In einer dieser Untersuchungen- von Thomas Junker und Sabine Paul [1]- finden wir einen Hinweis auf vier Eigenschaften, die in der Regel von der "Kunst" erwartet werden. Allerdings sind diese Eigenschaften, worauf der Zusatz "in der Regel" bereits hinweist, durchaus nicht unstrittig:

"(1) Eine schöne oder anderweitig Interesse weckende Form.

(2) Eine spezielle Funktion, die sich von der eines normalen Gebrauchsgegenstandes unterscheidet und die schwer erkennbar sein kann. .....

(3) Eine (symbolische) Bedeutung. Diese wird von allen Menschen intuitiv verstanden, wenn es sich um ein artspezifisches, biologisches Signal handelt. In dem Maße, in dem die Bedeutung durch kulturelle (d.h. sozial erlernte) Symbole vermittelt wird, ist sie nur den Mitgliedern der jeweiligen Gemeinschaft ("Kultur") zugänglich.

(4) Ein Element der Phantasie. ... "

Es ist jedoch umstritten, ob und wie diese Eigenschaften "zusammenkommen müssen" , damit ein Werk als Kunstwerk bezeichnet werden kann.

 

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Einen weiteren Hinweis auf die Wirkungen der Kunst, von Kunstwerken, auf den Menschen finden wir in einem Werk von Menninghaus, das ebenfalls die Ästhetik mit der Evolution des Menschen verknüpft.

Wir zitieren einen Katalog potenziell förderlicher Kunstwirkungen als Ergebnisse aus "Kooptationsanalysen" von W. Menninghaus [2: Seite 260]:

- Beförderung des allgemeinen Wohlbefindens durch selbstbelohnende, inhärent lustvolle ästhetische Praktiken (individuelle oder sozial geteilte);

- Einübung, Prägung, Verfeinerung und Infragestellung ...ästhetischer Codes und Zeichenpraktiken;

- Übung und Steigerung motorischer und technischer Fähigkeiten;

- Beförderung von sozialer Kommunikation, teilweise auch sozialer Kooperation;

- intensivierte Selbstwahrnehmung, emotionale Selbstregulation ("mood management") und Verbesserung der Selbstklarheit durch den "Gebrauch" der Künste für das Wecken, Steigern, Beruhigen, simulative Ausagieren und reflexive Deuten von Gefühlen;

- Erproben und Neujustieren von Ethiken des Wertens und Handelns im realitätsentlasteten Simulationsmodus;

- Erkunden von (fiktiven) Möglichkeitsspielräumen und Chancen des Andersdenkens und Andershandelns;

- Anregung, Beschäftigung , Herausforderung komplexer kognitiver Verstehensleistungen, einschließlich des Umgangs mit Mehrdeutigkeit und potenziell unendlicher Deutbarkeit.

Eine persönliche Anmerkung : Die oben aufgeführte "Übung und Steigerung der motorischen und technischen Fähigkeiten" ist wohl auch der Grund dafür, dass wir uns- im Nachhinein betrachtet- für die Medaillen- und Reliefkunst mit ihren potentiell größeren handwerklichen Herausforderungen entschieden haben.

Menninghaus führt weiterhin aus, dass sich dieses Spektrum "potenziell förderlicher Kunstwirkungen" "weitgehend mit den Annahmen zu Leistungen und Wirkungen der Künste , die seit Kant, Schiller und den Romantikern in der philosophischen Praxis vertreten werden" deckt.

Die Kunst erscheint unter diesem Gesichtspunkten weder als Technik der Werbung um Individuen des anderen Geschlechts noch als Bindemittel für soziale Gruppen- was im Gegensatz zu [1] steht .

Wie weit allerdings diese "förderlichen Kunstwirkungen" bei den Rezipienten im praktischen Kunstbetrieb der Gegenwart, der durch Befriedigung vieler anderer Interessen der "Markteilnehmer" gekennzeichnet ist, überhaupt zum Tragen kommen, halten wir durchaus für hinterfragenswert. Förderliche Kunstwirkungen bei den Rezipienten, die in der Gegenwart besonders wichtig sind, scheinen uns besonders durch Wertzuwachs und Prestigeerhöhung gekennzeichnet zu sein.

 

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Falls wir der Aussage von Freud zustimmen, dass das Leben zu schwer für uns ist, da es uns zuviel Schmerzen, Entäuschungen und unlösbare Aufgaben beschert und wir, um es zu ertragen, Ablenkungen oder Ersatzbefriedigungen benötigen, wie sie- neben den Suchtbefriedigungen- auch die Wissenschaft oder die Kunst uns bieten, so erscheint es uns gerade aus diesem Grunde sinnvoll, die Themen unserer Werke gerade aus dem Bereich einer "sinnerfüllenden" Lebensgestaltung zu wählen. Damit greifen wir auch direkt auf Themen "Glück" und "Sinn" zurück, die bereits in der Antike als bedeutungsvoll erachtet und "durchdacht" wurden.

Gerade die Empfindung von "Sinn", das sich Einbinden, das sich Verknüpfen mit etwas, dem man einen "Wert" zuordnet, ist für die Empfindung eines "gelingenden" Lebens, für die "Lebensqualität" von entscheidender Bedeutung. Wieso also nicht die Themen für die eigenen Werke aus diesem Bereich im engeren und weiteren Sinne wählen? Gerade durch die Verknüpfung von gestalterischer Tätigkeit und den damit verbundenen Aktivitäten- wie einer Abstimmung von Inhalt und Form- mit der begrenzt möglichen Gestaltung eines gelingenden, erfüllenden Lebens selbst, gewinnt die "künstlerische" Tätigkeit an einem Material ihren besonderen Sinn. Aus dem Bereich der künstlerischen Tätigkeit mit seiner praktisch fast grenzenlosen Gestaltungsfreiheit kann man ein stärkeres Bewusstsein auch für die Gestaltungsfreiräume des eigenen Lebens gewinnen- Gestaltungsfreiräume, derer man sich im Alltag mit seinen Routinen, Anforderungen und Einbindungen nicht recht gewahr wird und sie deshalb auch nicht ausschöpfen kann.

Falls der Leser der Meinung sein sollte, dass die Aussage von Freud nun doch zu dramatisiert und übertrieben sei, so geben wir ihm zu bedenken, dass eine endgültige Bilanz erst am Ende eines Lebens gezogen werden kann- man soll bekanntlich den Tag nicht vor dem Abend loben. Wer wachen Auges seine Umwelt betrachtet, wird- so vermuten wir- im Regelfall der Aussage Freuds beistimmen können- auch ohne in eine persönliche Katastrophe hineingeschlittert zu sein oder ein Krankenhaus oder Hospiz besucht zu haben.

Einen weiteren Hinweis auf mögliche Wirkungen von Kunst und dem damit verbundenen Schaffens- und Aufnahmeprozess durch das Individuum liefert uns die Philosophie:

In die gleiche Richtung wie Freud- das Leben duch Kunst erträglicher und intensiver zu gestalten- verweist indirekt auch der Philosoph Robert Pfaller:

"Die erste Welt ist die unseres wirklichen Lebens mit allen Mühen, Frustrationen und Kompromissen. Die zweite Welt ist die der Träume, Wünsche und Illusionen."
[3]

Robert Pfaller geht "der Frage nach, wovon wir träumen müssen, um etwas Anderes leben zu können. Welche fiktiven Welten müssen wir produzieren, um eine andere, wirkliche Welt realisieren oder in Gang halten zu können?

Fragen wie diese scheinen im Moment ein wenig in Vergessenheit geraten zu sein. Im Maßstab des individuellen Lebens haben postmoderne Identitätspolitiken uns die Vorstellung nahegelegt, jeder, jede und jedes wäre nur einer, eine und eines. und sonst nichts. Dass man, gerade um etwas Bestimmtes zu sein, vielleicht noch etwas Zweites, Anderes sein, oder es wenigstens als Fiktion mit sich tragen muss, fällt gerade in der Postmoderne schwer zu denken- was möglicherweise zur unglücklichen Unabschließbarkeit der "Selbstkonstruktionen" beiträgt, mit der viele Individuen derzeit beschäftigt scheinen: Es gelingt ihnen eben bezeichnenderweise kaum jemals, jenes mythische Eine zu finden, das sie angeblich voll und ganz sein könnten und sollten." [3, Seite 7]
...
" Die erste Welt selbst scheint es regelmäßig mit sich zu bringen, dass wir den Traum von einer zweiten, anderen entwickeln müssen- nämlich um eben in der ersten zu leben." [3, Seite 16]

Somit kann das Schaffen und die Rezeption von Kunstwerken nicht nur die Gestaltung eines "gelingenden" Lebens betreffen und thematisch behandeln, sondern unter Umständen auch selbst zu einem solchen Leben beitragen.

Wir verstehen den Entwurf unserer Werke für uns selbst als wertvolle Ergänzung zu der Welt "unseres wirklichen Lebens" im oben genannten Sinne- als einen völlig freien Bereich der Gestaltung, in den wir uns nicht hineinreden lassen müssen, in dem wir die Phantasie frei "spielen" und sich "entwickeln" lassen können. Viele Werke von uns mit ihren speziellen Themen und ihrer Realisierung sind das Ergebnis einer Haltung, bei der die erste Welt aus einem gewissen kritischen Abstand betrachtet wird. Andererseits ist es durch die Verknüpfung dieser beiden Welten möglich, Erkenntnisse von der einen in die andere Welt zu übertragen- was schließlich dem Leben in den beiden Welten zugute kommen kann.

Wir sind uns dabei der Gefahren einer übertriebenen, geradezu "verbissen" durchgeführten Sinnerwartung, Sinnsuche, Glückserwartung oder Glückssuche durchaus bewusst: "...auch der Sinnsüchtige führt ein verfehltes Leben; er sucht den großen Sinn, die Antwort auf alle Fragen; er irrt durch sein Leben auf der Suche nach der ihn erlösenden Bestimmung. Und da diese Suche in der Regel ergebnislos bleibt, ist es lebensklüger, sich mit dem kleinen, dem selbstgemachten Sinn zu bescheiden." [1]

Wir stimmen dieser Aussage zwar zu, haben allerdings Probleme mit dem Begriff "selbstgemachter Sinn":

Ganz willkürlich, ganz frei und autonom ist der Mensch bei dem "Machen" des Sinns sicherlich nicht- soll dieser doch wenigstens gewissen Minimalanforderungen genügen, um nicht unglaubwürdig, asozial oder gar verbrecherisch zu sein.

Der Philosoph Wilhelm Schmidt, auf dessen Werk wir an anderer Stelle noch näher eingehen werden, verknüpft die Gestaltung und die Rezeption von Kunstwerken direkt mit der individuellen Lebensgestaltung:

"In jedem Fall aber kann die Lebenskunst, die sich im Umfeld der Künste bewegt, von diesen einiges an eigenwilligen Sichtweisen und Verfahrensweisen übernehmen, um es zur Realisierung des Lebens als Kunstwerk zu gebrauchen."[4]

Über den Begriff "Lebenskunst" und darüber, wie weit das Leben als Kunstwerk betrachtet werden kann oder wie groß die Analogie zwischen der Gestaltung eines Kunstwerkes (hier speziell eines materiellen Kunstwerkes) und der Gestaltung des eigenen Lebens ist, wird in der Philosophie durchaus kontrovers diskutiert.

Wir wollen bereits an diser Stelle nicht verhehlen, dass es nach unserer Auffassung durchaus Bereiche innerhalb der Gestaltung von Kunst gibt, bei denen wir eine relativ große Analogie zur Gestaltung des eigenen Lebens wahrnehmen. Allgemein stehen wir allerdings der obigen Aussage "In jedem Fall ..." skeptisch gegenüber- es kommt unserer Auffassung nach sehr auf das konkrete "Umfeld" an.

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ERKENNTNISSE DER KUNSTPSYCHOLOGIE:

Wie bereits oben erwähnt, stellen wir hier die Ausrichtung unseres Werkes in einem größeren Zusammenhang dar. Wir fragen uns deshalb, welche Erkenntnisse aus der Wahrnehmung von Bildkunst auch für die Kunst des Reliefs und damit auch des Kleinreliefs, möglicher Weise sogar für die Kunstmedaille im eigentlichen Sinne, gelten könn(t)en.

Die Kunstpsychologie kann zwar keine Auskunft darüber geben, was "Kunst" ist, aber sie gibt Antworten auf die Frage, welche Wirkungen auf den Menschen und und welche "Funktionen" die "Kunst" in der Gesellschaft haben kann.

Wir beschränken uns im folgenden auf die Aspekte, die speziell für unser Werk von Bedeutung sind:

"Welche psychologischen Bedürfnisse werden beim Genießen von Kunst befriedigt? Welche Bereiche des menschlichen Erlebens und Fühlens kann Kunst anrühren und anfüllen, vielleicht sogar bereichern? Weiter lässt sich fragen, welche Art von Bildern intensiv wirken. Müssen es Bilder einer bestimmten Kunstrichtung sein (...) sein, oder müssen sie bestimmten formalen Kriterien (Farben, Inhalte) genügen?"

(Hinweis: Unter "Bilder" sind hierbei ganz allgemein Werke der bildenden Kunst zu verstehen)
[5, Seite 7]

Aufschlussreich erscheint uns dabei insbesondere der Bildbegriff und die "Wahrnehmung und Gestaltung von (Kunst-) Bildern - Produkt unbewusster Phantasien und Konflikte ? ", die in einem Aufsatz der Psychoanalytikerin Marianne Leuzinger-Bohleber: Der Bildbegriff in der Psychoanalyse, behandelt werden [6].

"Bilder bieten dem Betrachter, psychoanalytisch betrachtet, ... : "Sehnsüchte, Wünsche und Phantasien, aber auch tabuisierte Gefühle und Impulse. die er ablehnt oder in sich selbst verleugnet, kann er von innen nach außen, auf Bilder, projizieren und dadurch einen "erlaubten" Zugang zu seinem Unbewussten finden. Der Betrachter fühlt sich vom Bild fasziniert und emotional intensiv angesprochen, gerade weil Unbewusstes für ihn "sichtbar-gemacht", d.h. wahrnehmbar und kommunizierbar wird, ohne dass es der eigenen Zensur anheim fällt. Das Dargestellte, Bedrohliche und Unheimliche begegnet ihm in der Außenwelt- im Bild des Künstlers- und nicht als eigener verbotener Triebimpuls, als persönliche, peinliche oder erschreckende Phantasie. Dieser Prozess kann für den Betrachter wie eine Katharsis wirken. Zudem wird er- über das Kunstwerk- in einen kulturellen Raum gestellt und teilt seine idiosynchratische unbewusste Phantasiewelt nicht nur mit dem Künstler, sondern mit anderen Betrachtern in einem bestimmten historischen und kulturellen Augenblick."

Wir betrachten im folgenden die mögliche (ästhetische) Wirkung von bildender Kunst auf den Betrachter noch etwas näher, wobei diese Wirkung in engem Zusammenhang mit den Eigenschaften des Werkes und den Intentionen des Künstlers steht. Dabei beziehen wir uns im wesentlichen auf die Veröffentlichung von Jens Rowold [5].

Jens Rowold geht in seiner Arbeit zunächst der Frage nach, ob die aus der Allgemeinen Psychologie bekannten fünf Dimensionen des Verhaltens und Erlebens- Emotion, Kognition, Motivation, Wahrnehmung und der Bezug zum eigenen Selbst- geeignet sind, eine umfassende Beschreibung der Vorgänge auf Seiten des Kunstbetrachters zu ermöglichen. Weiterhin untersucht er, wie groß der Einfluss bestimmter Aspekte eines abstrakten oder figurativen Kunstwerkes (die "Wirkaspekte"), auf das Erleben des Kunstbetrachters haben. Unter Kunstwerk versteht er speziell Werke der bildenden Kunst, wodurch auch die hier betrachteten Werke der Reliefkunst grundsätzlich mit eingeschlossen sind.

Unter den betrachteten Wirkaspekten sind insbesondere "Inhalt", "Farbe" und "Gefühl" für uns von Interesse.

Dazu hat der Untersuchende spezielle Fragebögen enwickelt, die zu Grundlage weiterer, verfeinerter Fragebögen dienen sollen.

Eine Erkenntnis ist, dass die Wirkung von Kunstwerken auf den Betrachter durch die psychologischen Dimensionen, die aus der Allgemeinen Psychologie bekannt sind, prinzipiell erfasst werden kann. Die Dimension "wahrnehmungsverändernde Wirkung" des Kunstwerks konnte dabei allerdings nicht bestätigt werden.

Die wichtigste psychologische Dimension eines Kunsterlebens für den Betrachter ist, so zeigt die Untersuchung, der Selbstbezug. Der Beobachter versucht in der Regel. eine "persönliche" Beziehung zum Kunstwerk zu entwickeln. Er versucht (bewusst oder unbewusst?), eine Verknüpfung zwischen seinen Erfahrungen, Erlebnissen zwischen sich und dem Kunstwerk herzustellen.

Der Inhalt ist nach den Ergebnissen der Untersuchung die am stärksten auf den Betrachter einwirkende Kategorie (Wirkaspekt) eines Kunstwerkes. Dabei wirkt die figurative Kunst am stärksten über den Inhalt, die abstrakte Kunst jedoch stärker über die Farbe. Die figurative Kunst (löst) dabei "signifikant mehr Selbstbezüge aus als abstrakte Kunst."

In den verwendeten Fragebögen sind Fragen enthalten, durch die der Betrachter nach unserer Auffassung einige Anregungen erhalten kann, die zu einem intensiveren, vertieften Verständnis und zu einem größeren "Genuss" von Kunstwerken führen.

Die Dimension Selbstbezug (Selbstkongruenz, Selbstreflexion) hat für uns die zentrale Bedeutung. Als eine Voraussetzung zur Herstellung eines solches Bezugs ist die Interpretation anzusehen - abgesehen von einer rein emotionalen Beziehung durch Assoziation.

Durch den Selbstbezug eines Betrachters zum Kunstwerk hat dieser die Möglichkeit, sich selbst in seinen Eigenschaften, in seiner speziellen Lebenssituation aus einem gewissen Abstand zum gewohnten Alltag wahrzunehmen. Dies kann auch zu einer Neubetrachtung des Selbst führen.

Damit haben wir aber eine Überleitung zum Thema dieser Webseite- "Interpretationsoffene Werke mit Bezug zu einer individuellen Lebensgestaltung":
"Die Selbstkongruenz eines Bildes (unsere Anmerkung: allgemein eines Werkes der bildenden Kunst) mit dem aktuellen Erleben des Betrachters bahnt damit zum anderen die Selbstreflexion in Richtung Selbsterkenntnis. Kunst kann also dem Betrachter selbstkongruente Informationen liefern, um anschließend Selbstkonzepte neu zu bewerten und sie zu einer höheren Ordnung zu führen." [5, Seite 40]

Der Zusammenhang zwischen selbstkongruenten Inhalten eines Kunstwerkes und den Entwicklungszielen der eigenen Persönlichkeit erhellt sich auch durch die beiden Zitate aus der gleichen Literaturquelle [5,Seite 39]:

"Rogers beschrieb als Persönlichkeitspsychologe das Selbst als synonym mit Selbstkonzept. Das Selbstkonzept besteht aus verschiedenen Charakteristiken, mit denen sich eine Person selbst beschreibt. Rogers unterschied hauptsächlich zwischen dem aktuellen Selbst ("Wie bin ich in diesem Augenblick tatsächlich?) und dem idealen Selbst ("Wie möchte ich jetzt gerne sein?")
...
Wie bei Schurian [7] gesehen, beziehen sich Selbstkonzepte auch auf Entwicklungsziele der eigenen Persönlichkeit. Auf der selbstreflexiven ... Ebene findet ein Prozess statt, der bei der Entwicklung und Bewertung von Selbstkonzepten hilft."
[5, Seite 39]

Ein klar erkennbarer Inhalt erleichtert es dem Betrachter - sofern die übrigen Voraussetzungen gegeben sind- zwischen sich und dem Kunstwerk einen Bezug herzustellen. Dies ist übrigens ein Grund, dass wir unseren Werken häufig einen längeren Titel, eine Widmung oder eine Hintergrundinformation, ein Zitat,... beifügen.

In einem erweiterten Modell zum Kunsterlebnis von Jens Rowold, das den Künstler und seine "Wirkintention" erfasst, wird die plausible Annahme gemacht, dass die fünf Dimensionen der Allgemeinen Psychologie "Selbstkongruenz, Kognition, Emotion, Motivation, hier zusammen mit der Wahrnehmung, auch für das Erleben des Kunstschaffenden selbst gelten.

Sofern diese Annahme korrekt ist, dann ist es plausibel, dass innerhalb der Dimension "Selbstkonzept" die für den Betrachter vorstehenden Gesichtspunkte, wie "Selbsterkenntnis" und die Bestimmung der "Entwicklungsziele der eigenen Persönlichkeit" auch den Kunstschaffenden betreffen: "Auf der selbstreflexiven ... Ebene findet ein Prozess statt, der bei der Entwicklung und Bewertung von Selbstkonzepten hilft." [7]

Dieser Gesichtspunkt kann somit eine Motivation des Kunstschaffenden für den Entwurf seiner Werke sein. Wir können dies aus eigener Erfahrung nur bestätigen.

Das Verhältnis zwischen Betrachter und Kunstschaffendem kann auch psychoanalytisch gedeutet werden. Hierzu zitieren wir aus [8]:

"Die grundsätzlichen Thesen der psychoanalytischen Interpretation sind:

Der Künstler bearbeitet im Bild seine eigenen psychischen (z.T. unbewussten) Probleme und Konflikte. Er findet dabei individuelle Lösungen, die für einen Betrachter mit einer ähnlichen Konfliktlage ebenfalls gültig sind. Im günstigsten Fall bearbeitet der Künstler Probleme, denen sich jeder Mensch in seiner Entwicklung stellen muss (...), und stellt akzeptable Lösungen vor. Auch Wunschträume und stellvertretende Triebbefriedigungen können bildhaft vorgelegt werden...

Weil das Bild sich der Sprache des Traums bedient und sich direkt an das Unbewusste wendet, können solche Phantasien beim Künstler (Träumer) und beim Betrachter ohne ein Übermaß an bewusster Kontrolle, also ohne Zensur, vom Unbewussten übernommen werde.

Zwischen Künstler (Träumer) und Betrachter gibt es bei prinzipieller Gleichheit der Wirkungen einige Unterschiede: Der Künstler ist der- kreative- Erfinder der Lösung, der Betrachter nimmt sie nur auf und muss so gegebenenfalls auch keine Schuldgefühle für die vorgetragene Phantasie haben."

 

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Die Integration von "Kunst" in das "Leben" lässt sich auch aus einer völlig anderen- ganz elementaren- Blickrichtung betrachten, die vielleicht für den einen oder anderen Leser allzu elementar und geradezu lächerlich erscheinen mag- die wir aber für durchaus beachtenswert in diesem Zusammenhang betrachten. Es sind die -horribile dictu- Richtlinien für den gymnasialen Kunstunterricht [9]: Immerhin haben sich über das Thema nicht wenige "Fachleute" den Kopf zerbrochen- relativ unbeeinflusst von den vielen externen "Störgrößen" des Kunstmarktes. Natürlich werden auch diese Richtlinien nicht ganz unbeeinflusst vom "Zeitgeist" sein, es bleibt uns jedoch zu hoffen, dass dieser Einfluss aufgrund des "nicht wirtschaftlichen" und "nicht prestigeorientierten" Charakters dieser Richtlinien eine recht begrenzte Bedeutung hat. Ob eine Aussage bedenkenswert ist oder nicht, wahr oder unwahr, diesen Hinweis erlauben wir uns noch- kann von vorherein nicht davon abhängig gemacht werden, wer diese Aussage gemacht hat: Auch wenn die Aussage aus dem Umfeld einer, uns selbst etwas "suspekten", Kultus-Ministerialbürokratie kommt. Zumindest sind wir in diesem Umfeld vor so manchen Überspanntheiten sonstiger Kunsterscheinungen relativ sicher- hoffen wir zumindest.

Da wir nicht ganz ausschließen können, dass der Leser dieser Zeilen vielleicht "Kunsterziehung" studiert oder sogar in diesem Bereich tätig war, können wir zumindest aus diesem Bereich auf eine gewisse Zustimmung hoffen.

Wir zitieren aus [9], Seite 32:

" Im Fach Kunst stehen das Erfinden und Gestalten, das Wahrnehmen, die Suche nach dem Sinn, das Interpretieren als Handlungszusammenhang im Mittelpunkt. Die im Kunstunterricht geübten Umgangsweisen mit Phänomenen und Bildern/Bildwelten können für andere Fächer nutzbar gemacht werden: Das Erfinden und Gestalten, das genaue Beobachten, das Deuten als reflektierter offener und reversibler Prozess, das Strukturieren und Umstrukturieren. Umgekehrt lassen sich auch Informationen, inhaltliche Zusammenhänge, methodische Ansätze aus anderen Fächern im Kunstunterricht auf vielfältige Art nutzen."

Nicht nur im Fach Kunst stehen die oben aufgeführten Tätigkeiten, wie "Erfinden und Gestalten, das Wahrnehmen, die Suche nach dem Sinn,..." im Mittelpunkt, sondern auch im "menschlichen Leben" allgemein.

Im betrachteten Textzitat steht der Begriff "Bild" stellvertretend für alles, "was auf visuelles und haptisches Wahrnehmen hin gedacht und gemacht ist: Malerei, Zeichnung, ..., Skulpturen, Graffiti, Installationen u.a.m.". Somit sind an dieser Stelle auch die Medaille und das Relief eingeschlossen, auf die sich der hier vorliegende Text von uns im Besonderen bezieht.

Interessant für uns sind im vorliegenden Zusammenhang die Aussagen über Bildkonzeptionen:

"Künstlerische Bildwelten fordern die Wahrnehmung einer Reihe miteinander verschränkter Merkmale. Hierzu gehören die Interdependenz von Inhalt und Form und, im Zusammenhang damit, die Interpretationsoffenheit, die Komplexität, die Originalität, die Individualität und die Gesellschaftlichkeit, die Geschichtlichkeit."

 

 

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Ergänzend sei hier noch auf weitere mögliche Wirkungen von Kunst beim Besitzer und Betrachter von Kunstwerken hingewiesen:

Eine durchaus nicht zu unterschätzende Beförderung des Wohlbefindens ist augenscheinlich durch den Besitz von Kunst- möglichst teuer natürlich- gegeben: Es ist die Wirkung auf die Gesellschaft- Kunst als Statussymbol und die daraus folgende Aufwertung der Person: Schaut her, wie weit ich es gebracht habe! Was kann ich mir nicht alles leisten! Der Besitz, das Eigentum an teurer Kunst ist ein Symbol des Luxus', des Überflusses- und kann somit ähnlich dem bunten Federkleid von Vögeln entsprechen und wirken mit dem damit verbundenen evolutionären Selektionsvorteil!?

Es gibt auch Kunstwerke, die dem Besitzer oder auch nur Betrachter die günstige Möglichkeit eröffnen, sich in Diskussionen mit anderen als besonders tief- und feinsinnigen Kunstversteher zu präsentieren, um sich damit umso deutlicher von den verständnislosen "Kunstbanausen" abzuheben. Auch dies kann dem persönlichen Wohlbefinden durchaus sehr förderlich sein. Wenn dies noch mit der Bereitschaft gepaart ist, sehr viel Geld für das Werk auszugeben, das der Banause z.B. als Schrott beurteilt, kann das damit verbundene Signal : Ich bin ein wahrer Kunstversteher" und "Was kann ich mir alles leisten" in seiner kombinierten Wirkung noch lustvoller empfunden werden.

Auch kann man sich durchaus fragen- und eigene Beobachtungen sprechen dafür- ob ansonsten etwas spießig eingestellte und sehr bieder wirkende Bürger ihre demonstrative Wertschätzung in Bezug auf "revolutionäre" und "provokative" Kunst dazu verwenden, sich selbst und anderen den Eindruck zu vermitteln, dass sie doch eigentlich ganz anders sind als sie äußerlich scheinen und im Kerne eine fortschrittliche und vorurteilsfreie Einstellung, also den "richtigen Kunstgeschmack", besitzen.

Die Wirkungen einer Präsentation von Kunstwerken in Unternehmen auf deren Beschäftigte oder Teams wurde auch untersucht: Dabei sind die Wirkungen auf Teams zum Teil identisch mit den Wirkungen, den Kunstwerke auf Einzelpersonen haben, allerdings treten bei den Teams im Zusammenhang mit den Unternehmen noch zusätzliche erwünschte Wirkungen auf.

Interessant könnte für den Leser auch eine Untersuchung sein, in der die Aufmerksamkeits-, also die kurzfristige Verweildauer eines Museumsbesuchers vor einem Bild festgestellt wurde- in Abhängigkeit von der Art des Kunstwerks.
Das Ergebnis: Souveräner "Sieger" war die Nagelkunst von Uecker. "Klassische Werke" wurden nur ca. 12 Sekunden lang betrachtet. Der Leser mag sich ein eigenes Urteil darüber bilden, was der Grund für das außergewöhnliche Interesse an dieser Art von Kunst war.
Das Ergebnis der Untersuchung ist sicherlich auch für Museumsdirektoren interessant- möglicher Weise aber etwas ernüchternd.

Einen weiteren Hinweis auf mögliche Wirkungen der Kunst ist aus der Webseite der Deutschen Gesellschaft für Medaillenkunst (www.medaillenkunst.de) aus dem Abschnitt "Über uns" entnehmbar (Stand 2011,...): "Im Leben die eigene Mitte zu finden und zu halten, ist nicht leicht. Kunst kann wie ein Kompass dazu verhelfen und den Weg weisen". Ob und wieweit dies- für den Künstler oder den Betrachter zutrifft- mag der Leser selbst entscheiden. Persönlich sind wir der Auffassung, dass hier die Kunst in ihrer Funktion und Wirkung leicht in die Gefahr läuft, überfordert zu werden.

Der Kunst wurde und wird offenbar immer noch "mit enormen, eigentlich unerfüllbaren Erwartungen begegnet". ... "Die Wertschätzung der Kunst verlangt ihren Preis- und um diesen geht es in den folgenden Aufsätzen immer wieder. Sie sind im Geist des Misstrauens geschrieben. Dessen Basis ist die Vermutung, dass die hohen Ansprüche, die man an die Kunst immer wieder stellte, als man Therapie oder Revolution, Ausnahmezustand, Glück oder das "ganz Andere" von ihr erhoffte, weder denen, die Kunst machten, noch denen, die sich damit beschäftigten, gut taten." [10]

Kunst wurde in der Vergangenheit von der weltlichen und geistlichen Obrigkeit nicht selten dazu instrumentalisiert, deren Weltanschauungen- die selbst als Kompass für das Leben dienen sollten, den Menschen besser zu vermitteln. Das trifft besonders für autoritäre Systeme und deren Machtanspruch zu. Das ist der Kunst nicht besonders gut bekommen.

Unser eigener Versuch, Kunst und "reflektierte Lebenskunst", "Lebensgestaltung", stärker miteinander zu vernüpfen, Beziehungen zwischen ihnen zu entdecken, herzustellen und zu vertiefen, um sich in beiden Bereichen weiter zu entwickeln, ist hinsichtlich "der Weg weisenden Kunst" wesentlich bescheidener.

 

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Die hier aufgeführten, verschiedenen Wirkungen der Kunst können natürlich subjektiv in ihrer Bedeutung unterschiedlich bewertet werden. Sofern eine grundsätzliche Entscheidung getroffen worden ist, in einem Bereich der Kunst tätig zu sein, kann die Übersicht über die möglichen Wirkungen der Kunst und die Umgangsweisen mit ihr eine Anregung für einige Fragen geben: Was ist für uns persönlich wichtig? Wie können wir unser Werk ausrichten, wie mit dem verknüpfen, was uns persönlich in unserem Leben wichtig ist? Wie wollen wir unser Werk ausrichten- damit es uns eine dauerhafte Freude und Befriedigung schenkt und uns innerlich bereichert und die Möglichkeit einer sinnvollen persönlichen Weiterentwicklung bietet? Sofern der Bereich der Kunst, auf dem wir selbst tätig ist, und auch die Art, wie wir diese ausführen, frei wählbar ist- und das gilt sicherlich insbesondere für den, der nicht mit seinen Werken den Lebenunterhalt verdienen muss, sind solche grundsätzlichen Fragen besonders bedenkenswert. Natürlich werden solche Überlegungen nicht gleich am Anfang einer künstlerischen Tätigkeit- was immer das auch sein mag- stehen, sondern dort wird das spontane Beginnen, das Schaffen "wegen der Freude" das Motiv für die ersten Schritte sein.

Diese etwas naiv wirkende Beschreibung des Motivs kann man für den besonders anspruchsvollen Leser natürlich auf gehobenerem Niveau ausdrücken: Wir haben uns eine Tätigkeit für unsere Freizeit ausgesucht, die uns mit größter Wahrscheinlichkeit auf längere Zeit die Möglichkeit des Erlebens von "flow"- bescheidener Weise auch von "miniflow" oder "microflow" - bietet.

Wir zitieren hierzu von Manfred Clemenz aus [11, Seite 146]: Der Künstler muß nicht nur Inhalt und Form synthetisieren, als kreativer Künstler muß er sich zugleich mit dem Problem auseinandersetzen, wie weit er im tradierten Formenkanon oder nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten suchen will. Das Neue birgt sowohl das erhöhte Risiko des Scheiterns als auch die Verlockung gesteigerter ästhetischer Lust. Es ist zumindest plausibel anzunehmen, dass die Suche und gegebenenfalls das Finden neuer Ausdrucksmöglichkeiten eine Steigerung des ästhetischen Lustgewinns, einen ästhetischen "flow"-Zustand bewirkt. Formal und inhaltlich angemessene, neue ästhetische Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, wäre damit das summum bonum der Gratifikation, die der Künstler aus seiner Arbeit beziehen kann."

Aus der gleichen Literaturquelle [Seite 132] entnehmen wir: "Der Lustgewinn dürfte umso höher sein, je komplexer seine ästhetische Kompetenz ist, wofür ein gewisses Maß an Anerkennung eine Rolle spielt. Das heißt, dass dieser Lustgewinn nicht vollständig ohne ein "Objekt" und dessen Anerkennung erzielbar ist. In vielen Fällen ist es für den Künstler ausreichend, wenn ein "Vertrauter" vorhanden ist, dessen Wertschätzung für den Künstler von Bedeutung ist."

Der letzte Satz hat eine besonders beruhigende Wirkung auf uns- die Anzahl der "Wertschätzenden" ist nicht nur für uns von relativ geringer Bedeutung, was den "Lustgewinn" betrifft.

 

Sofern ein "Nachdenken" über die eigene Position, über die Motivation, über den Sinn der eigenen Tätigkeit erfolgt, kann die Frage nach der Ausrichtung des eigenen Werkes in Bezug auf- und seiner Einbettung in das "allgemeine" Kunstgeschehen resultieren.

Für uns persönlich hat sich zunächst bei unserem Medaillen- und Reliefwerk der Schwerpunkt "Interpretationsoffenheit" herausgebildet - dies zeigt sich bereits bei unseren ersten Werken. Die Interpretationsoffenheit des Werkes ist mit mehreren der oben aufgeführten Eigenschaften, Wirkungen und Anforderungen verknüpft, sie bietet die größte Verknüpfung mit den potentiell "förderlichen Kunstwirkungen". Sie hat deshalb unser größtes Interesse. In dem Bereich der "Interpretationsoffenheit" haben wir dann nach unserer individuellen Interessenlage eine thematische Verknüpfung mit der Gestaltung der eigenen Lebensführung- der "Philosophie der Lebenskunst"- vorgenommen.

Aus einigen der oben aufgeführten Eigenschaften und Wirkungen von Kunstwerken (hier speziell der bildenden Kunst) auf den Menschen lässt sich direkt eine prinzipiell mögliche enge Vernüpfung von "Kunst" und "reflektierter Lebenskunst" ersehen.

Wir werden im Folgenden die Verknüpfung der interpretationsoffenen Kunst mit der "reflektierten Lebenskunst" durch die Kunst der Interpretation näher beschreiben und dann unsere Werke aus diesen Bereichen vorstellen.

Wir haben in unseren Werken überwiegend den Bereich der Kunst mit einem Thema verknüpft, das für uns besonders wichtig ist, der Gestaltung eines individuellen, also möglichst selbstbestimmten, als sinnvoll empfundenen Lebens. Dem Betrachter wird dort angeboten, eine solche Verknüpfung durch Interpretation subjektiv herzustellen und möglicherweise Erkenntnisse, die das eigene Selbst betreffen, abzuleiten. Solche grundsätzlichen Überlegungen hinsichtlich des Gegenstandes von Werken sind nicht einzigartig, wie der Leser weiß oder zumindest vermuten wird. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf ein Beispiel aus der Malerei, das vielleicht auf den ersten Blick vielleicht kaum Bezug zu unserem Ansatz zu haben scheint, dass aber durchaus nach unserer Auffassung einige interessante Ähnlichkeiten, aber auch grundlegende Unterschiede dazu aufweist. Es ist der "Ansatz" des Malers Barnett Newman, der sich mit dem Problem des "What to paint?" grundsätzlich auseinandergesetzt hat.

Wir beziehen uns in unseren Werken im Wesentlichen auf die alten, klassischen Probleme, Freuden, Glücksmöglichkeiten, Ängste, Sinnfindungen des Menschen, wenn auch in einer zeitlich angepassten Form- nicht modern nur um der Modernität und der Mode halber und um "fortschrittlich" zu wirken. Wer heute den Mantel des Neuen, nur um des Neuen halber trägt, sieht bereits nach kurzem ganz schön "alt" aus. Viele der aufgeführten Probleme,... des Menschen sich im Laufe der Geschichte nur wenig geändert und werden sich wohl auch grundsätzlich nicht ändern: Es wird immer geliebt, gestorben, nach Glück und Sinn gesucht, ... werden. Das Entwickeln rein formaler Werkzeuge tritt in unseren Werken gegenüber dem Inhalt des Dargestellten zurück.

Das steht durchaus im Gegensatz zu einer anderen, von der Kunstkritik verbreiteten Auffassung:
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Wenn die moderne Kunst nach wie vor die alten Menschheitsfragen stellt, so muss sie das jetzt verschlüsselt tun. Denn wie alle Phänomene der menschlichen Existenz ist auch sie geschichtlich bedingt. Der durch ihren geschichtlichen Charakter ständig gewachsenen Komplexität der Fragestellung entspricht die gewachsene Komplexität der Formen. Das macht Werke der zeitgenössischen Kunst vor allem für den flüchtigen Betrachter so schwer zu entziffern. Aber sie kann es ihm, ohne ihren Wahrheitsanspruch aufzugeben, nicht leichter machen. Nur die der komplexen Aussage adäquate komplexe Form macht diese erst relevant. Ohne die Form käme sie gar nicht zum Leben. " (Wieland Schmied)

Wir halten es dagegen mit der Auffassung, dem Betrachter nicht im Prinzip unnötig "komplexe Formen" und dem gewählten Thema letztlich nicht angemessene, gar gezielte Verrätselungen zuzumuten- um ihm damit Assoziieren und Interpretieren bei Betrachten eines Werkes nicht bewusst schwerer zu machen oder gar zu verbauen. Eine "Verrätselung" des Werkes und seiner "komplexen Aussage" mag zwar den Eindruck einer besonderen Tiefsinnigkeit des Künstlers im Betrachter hervorrufen- aber für wen fertigt der Künstler das Werk an? Für sich selbst? Für einen Betrachter, der an einer Kunstakademie oder nicht an einer Kunstakademie studiert hat? Für einen Kunstkritiker, der einen "tiefsinnigen" Artikel über das Werk schreibt? ... ?

Da sich nach unserer Auffassung die wirklich grundlegenden "Fragen" der Menschen im Laufe der Geschichte nicht wesentlich geändert haben und in ihrem "Kern" auch nicht "komplexer" geworden sind*, haben wir auch keine "komplexe", aber auch keine chaotischen Formen verwendet. Vielleicht haben wir dafür auch keine Notwendigkeit dafür, weil wir keine "komplexe Aussagen" tätigen wollen, sondern lediglich versuchen, dass der Betrachter sich selbst beim Betrachten der Werke relativ einfach zu formulierende Fragen stellt, die sich auf ihn selbst, auf sein eigenes Leben und seine Einbettung in seine spezielle Umwelt beziehen. Die Antworten auf diese selbstgestellten Fragen sind sicherlich zeitabhängiger als die Fragen selbst- und können allerdings durchaus im Einzelfall auch relativ komplex, vage und mehrdeutig sein.

* Liebe, Eros, Krankheit, Tod, Alter, Endlichkeit, Konkurrenz, Hoffnung auf ein Jenseits, der Einzelne und seine "Einbettung" in die Gesellschaft, Gier, Schuld, Glücksstreben, Sinnsuche, Mitläufertum, Ehrgeiz, Gleichgültigkeit gegenüber den Anderen und der Umwelt- all diese Begriffe und noch mehr bewegen den Menschen heute, aber auch seit altersher.

Zum Begriff "komplex": Was hat er für Bedeutungen?

vielschichtig; viele verschiedene Dinge umfassend, zusammengesetzt; nicht allein für sich auftretend, ineinandergreifend, nicht auflösbar

Die Synonyme zu komplex:

beziehungsreich, multidimensional, reich, vielfältig, vielschichtig, vielseitig, weitschichtig; (gehoben) mannigfaltig; (bildungssprachlich) heterogen; (bildungssprachlich, Fachsprache) multipel
ineinandergreifend, unauflösbar, unauflöslich, verbunden, verflochten, verwickelt, zusammengesetzt, zusammenhängend (Quelle: Duden).

Wenn wir die Abbildungen der konkreten Werke in der oben zitierten Literaturquelle betrachten, haben wir allerdings den Eindruck, dass nicht wenige Werke eine sehr einfache, teils sehr wenig strukturierte Form aufweisen- und andere eine eher "zufällige", völlig "unmotivierte" Formen aufweisen. Wir haben deshalb starke Zweifel, dass eine solche Formensprache wirklich der im Zitat behaupteten "ständig gewachsenen Komplexität der Fragestellung" entspricht bzw. ihr gerecht wird. Eher drängt sich uns der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit und Unverbindlichkeit auf. Die Gefahr, die wir dabei sehen: Sofern man "Komplexität" zu sehr in ihrer Darstellung auf einfache, wenig strukturierte Formen reduziert, desto weniger wird damit konkret dem Betrachter zur Deutung, zum Mitempfinden angeboten, desto beliebiger wird schließlich das Angebot. Im Grenzfall: Wer "Alles", das ganz "Komplexe" also, ausdrücken will, sagt schließlich gar nichts mehr konkret aus und lässt den "Rezipierenden" schließlich mit sich allein. Zum "Meditieren" mögen solche Werke durchaus geeignet sein, aber kann man schließlich nicht "über alles" meditieren?

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[1] Thomas Junker, Sabine Paul: Der Darwin Code; Die Evolution erklärt unser Leben, C.H.Beck, 2009, ISBN 978 3 406 58489 3

[2] Winfried Menninghaus: Wozu Kunst ?; Ästhetik nach Darwin, Suhrkamp Verlag, 2011, ISBN 978-3-58565-8

[3] Robert Pfaller: Zweite Welten- Und andere Lebenselixiere, S. Fischer, 2012, ISBN 978-3-10-059034-3

[4] Wilhelm Schmid, Philosophie der Lebenskunst, Suhrkamp, 1998, ISBN 3-518-28985-3

[5] Jens Rowold: Auf den Inhalt kommt es an : ein psychologischer Fragebogen zur ästhetischen Wirkung von bildender Kunst, ISBN 3-8258-5636-4

[6] Marianne Leuzinger-Bohleber: Der Bildbegriff in der Psychoanalyse; Aufsatz in: Stefan Majetschak, Hrsg., Bildzeichen - Perspektiven einer Wissenschaft vom Bild, Wilhelm Fink-Verlag, 2005, ISBN 3-7705-4205-3

[7] Schurian, W.: Psychologie ästhetischer Wahrnehmungen. Selbstorganisation und Vielschichtigkeit von Empfindungen, Verhalten und Verlangen. Opladen: Westdeutscher Verlag

[8] Martin Schuster: Wodurch Bilder wirken, Psychologie der Kunst, Du Mont, 2011, ISBN 978-3-8321-9358-4

[9] Richtlinien und Lehrpläne Kunst: Gymnasium Sekundarstufe I in Nordrhein -Westfalen, Heft 3405,4/1993, ISBN 3-89314-297-5

[10] Wolfgang Ullrich: Tiefer hängen -Über den Umgang mit der Kunst, Wagenbach, 2003, ISBN 3 8031 2479 4

[11] Manfred Clemenz: Freud und Leonaedo, Eine Kritik psychoanalytischer Kunstinterpretation, Brandes& Apsel, ISBN 3-86099-771-8

 

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