Interpretation
"Es begegnete und geschieht mir noch, daß ein Werk bildender Kunst mir beim ersten Anblick mißfällt, weil ich ihm nicht gewachsen bin; ahn' ich aber ein Verdienst daran, so such' ich ihm beizukommen, und dann fehlt es nicht an den erfreulichsten Entdeckungen: an den Dingen werd' ich neue Eigenschaften und an mir neue Fähigkeiten gewahr." (Goethe)
Die Interpretation (lat. interpretatio "Erklärung,
Auslegung, Deutung") von Kunstwerken ist das Verfahren ihrer Ausdeutung,
die aus mehreren Schritten besteht.
Auf die einzelnen Schritte, die in einer umfassenden
Interpretation eines Kunstwerkes durchlaufen werden, wie Beschreiben,
..., eine historische Erklärung, ... gehen wir hier nicht detailliert
ein. Diese Schritte sind in der Literatur ausführlich dokumentiert
und für uns in diesem Zusammenhang von relativ geringem Interesse.
Das allgemeine Ziel der Interpretation eines Kunstwerks ist: Wir zitieren weiter: Interpretationen als aktive Wechselbeziehung zwischen Kunstwerk und Interpret können je nach Art des Werks und Interesse des Deutenden unterschiedliche Momente des künstlerischen Sachverhaltes (auch des Kunstprozesses) hervorheben, ihn auf neue Weise deuten, wenn das Werk unter wesentlich veränderten historischen, ideologischen und mentalen Aspekten untersucht und verstanden wird. Die Interpretation wird auch durch ihre konkreten Zwecke strukturiert: ob sie vorrangig bestimmten wissenschaftl. Untersuchungen gilt (Rekonstruktion kunsthistorischer Sachverhalte), der Steigerung des Erlebens von Kunstwerken (einschließlich der ästhetischen und kunsthistorischen Bildung des Betrachters), der Aneignung künstlerisch-praktischer Erfahrungen (Anregungen für Künstler, kunstschaffende Laien, schulische Kunsterziehung)." Für uns ist insbesondere die "Steigerung des Erlebens von Kunstwerken", letztlich die subjektive Deutung und die Einbeziehung des Werkes in die persönliche Lebenserfahrung des Betrachters- sowie eine Erkenntnis seiner selbst- von Bedeutung. |
Es gibt- das sei hier noch ergänzend mitgeteilt, durchaus grundsätzliche andere Auffassungen zur Bedeutung der Interpretation von Kunstwerken. Wir beziehen uns dazu auf einen Internetbeitrag von Ana Huotari: "Kunstbetrachtung und Interpretation bei Susan Sontag" aus dem Jahr 2001. "Susan Sontag, amerikanische Kritikerin und studierte Philosophin, vertritt in ihrem Werk "Against Interpretation" die Forderung, bei der Kunstbetrachtung den Inhalt eines Kunstwerkes nicht zu sehr zu betonen und damit der Interpretation keinen zu hohen Stellenwert einzuräumen. Denn sie spricht von Interpretation als Zähmung der Kunst, da durch sie die Kunst auf einen bestimmten Inhalt reduziert wird, der nicht mehr die sonst der Kunst zugeschriebene Fähigkeit besitzt, nervös zu machen und wie Aristoteles sagt, zur Katharsis, zur Herbeiführung und Läuterung gefährlicher Emotionen führt. Auch macht Interpretation die Kunst in ihrer Botschaft manipulierbar, denn ist jemand aus irgend einem Grund unzufrieden mit dem zu betrachtenden Werk, besteht für ihn immer die Möglichkeit, einen für ihn angenehmen Inhalt hineinzuinterpretieren. Interpretation ist subjektiv und dadurch in gewisser Weise willkürlich, denn auch wenn an sie ein Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Objektivität gestellt wird, ist sie immer abhängig vom Interpreten, seinen Assoziationen beim Betrachten des Kunstwerkes und der eventuellen Absicht, die er mit der Interpretation verfolgt. Sontag fordert eine Transparenz des Kunstwerkes und eine Betrachtungsweise, die der Kunst Autonomie gewährt, sie nicht nur als Verpackung eines bestimmten Inhalts erhalten lässt, der nur durch aggressive Interpretation herausgefiltert werden kann. Susan Sontag definiert Interpretation für sich als Herausgreifen einer Reihe von Element aus dem Werkganzen (das Element A bedeutet in Wirklichkeit X, B bedeutet Y und C entspricht Z). Daraus folgt, dass Sontag die Arbeit des Interpreten als Übersetzungsarbeit beschreibt, deren Ergebnis die einzig wahre Bedeutung des Kunstwerkes darstellen soll. Allerdings kritisiert Sontag diese übersetzende Interpretation, indem sie die Behauptung aufstellt, das der Inhalt des Werkes dabei verändert wird, so wird zum Beispiel ein alter Text gemäß den Ansprüchen des modernen Lesers vereinfacht und dabei laut Susan Sontag umgeschrieben. Ihre Forderung nach einer Erotik der Kunst beinhaltet deshalb die Betonung auf die reine Wahrnehmung, auf das Erleben und Verstehen des Kunstwerks, wobei das Erleben sich auf das sinnliche Erleben vor allem der Form bezieht, aus dem dann das Verstehen resultiert. Die sinnliche Wahrnehmung ist unvermeidbar beeinflusst von der individuellen ästhetischen Erfahrung jedes Einzelnen, doch die Assoziationen, die man bei der Betrachtung von Kunst hat, zählen bei Sontag noch nicht als Interpretation." Sie trennt in ihren Thesen zwischen Inhalt und Form eines Werkes, und behauptet, dass bei der gängigen Form der Interpretation der Inhalt überbewertet und die Form aus interpretationstechnischen Gründen zerstört oder außer Acht gelassen wird. Ihrer Meinung nach sollte man allerdings eine Verschmelzung der inhaltlichen und formalen Erwägungen herbeiführen mit etwas mehr Betonung auf der Form. Daraus leitet sie auch die Aufgabe eines Kunstkritikers ab. Die Funktion der Kritik sollte darin bestehen aufzuzeigen, wie die Phänomene beschaffen sind, ja selbst, dass sie existieren, aber nicht darin, sie zu deuten. Alles in allem stellt sich bei den Thesen Sontags vor
allem die Frage, ab wann man dabei ist, den Inhalt der Kunst überzuinterpretieren
und wieviel an Vorkenntnissen, auch über den Künstler, erlaubt
ist. Ist es schon Überinterpretation, wenn man, zum Beispiel wie
bei Edvard Munch weiß, dass er ein gespanntes Verhältnis zu
Frauen hatte und so anfängt, in seinem Bildnis der Madonna diese,
ja fast schon Angst zu sehen? Laut Sontag wäre es wohl eine, doch
wie geht man dann an das Werk heran? Sinnliches Erleben, wie ist das definiert?
Dies kommt in Sontags Text nicht klar heraus, auch wenn es interessant
erscheint, die Gefühle und Empfindungen beim Betrachten der Kunst
in den Vordergrund zu stellen. Allerdings hat Sontag ihre Thesen wohl auch überspitzt
formuliert, in Anbetracht der Tatsache, dass einfach alles von allen möglichen
verschiedenen Standpunkten (religiösen, sozialkritischen, etc.) aus
interpretiert wird und einem dadurch auch die Lust an der Kunst getrübt
wird. " Interpretation als Übersetzungsarbeit des Interpreten zu beschreiben, ist nach unserer Auffassung zu kurz gesprungen. Eine solche 1:1- Übersetzung kann für viele Werke auch gerade aufgrund ihrer grundsätzlichen Mehrdeutigkeit nicht geliefert werden. Auf die grundsätzlichen Unterschiede zwischen einer bildlichen (oder plastischen) Darstellung und den Ausdrucksmöglichkeiten von Sprache verweisen hier nur- eine bildliche Darstellung hat einen analogen Charakter, während Sprache eher einen einem digitalen Medium gleicht. Wir selbst sind bei unseren Werken der Auffassung, dass der Betrachter auch sich nicht sagen lassen muss, "einfach alles von allen möglichen verschiedenen Standpunkten" zu interpretieren- er ist frei, sich die Aspekte herauszusuchen oder nicht zu beachten, wie es ihm beliebt- gerade so, dass seine Lust an der Kunst nicht getrübt wird und er die Erkenntnis daraus gewinnt, die ihm gemäß ist (Hinweis auf die Theorie von Herbert Laszlo, auf die an anderer Stelle dieser Webseite näher eingegangen wird). Er muss sich nicht von irgendeinem Interpreten sagen lassen, was er zu sehen hat. Auch der Interpret hat nicht selten seine ganz spezielle Brille und seine eigene "Wahrheit". Eine Interpretation sagt auch etwas über den Interpreten und vor dem Hintergrund einer bestimmten gesellschaftlichen Situation etwas über seine Mitläuferschaft oder seine Eigenständigkeit bezüglich des Zeitgeistes aus. Auch wenn die Interpretation eines fachmännischen Interpreten nach Auffassung des Betrachters anfechtbar ist, dann kann sie jedoch als Grundlage für eine individuelle, persönliche Weiterentwicklung und Erkenntnis, auch im Widerspruch und Kontrast dienen. Eine Interpretation, die mit dem Anspruch
auf Allgemeingültigkeit und Objektivität auftritt, würden
wir mit äußerstem Misstrauen und Skepsis betrachten- einmal
abgesehen von den "Trivialfällen", in denen durch das Werk
offensichtlich nur eine ganz bestimmte Botschaft oder Information vermittelt
werden soll. Falls dem Leser unsere skeptische Position hinsichtlich der "objektiven Interpretation" unglaubwürdig vorkommen sollte- möge er an die Interpretationen von Vorgängen im politischen Bereich denken- immerhin ein Bereich, der uns alle betrifft.
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Wir halten- ganz allgemein- die Fähigkeit
zu einer angemessenen Interpretation von Vorgängen, Reaktionen eines
Gegenüber, von Situationen, von Kunstwerken , etc. und damit die Anregung
der Phantasie, das tastende Ausprobieren und Knüpfen von Zusammenhängen,
für eine sehr wichtige Angelegenheit. Interpretation schafft uns unsere
eigene Welt und bietet die Möglichkeit, uns auch in die Welt des Anderen
hineinzudenken - falls wir dies überhaupt wollen. Die Interpretation
unserer Lebenszusammenhänge allgemein entscheidet auch so in erheblichem
Maße über unsere Lebenszufriedenheit, unser Glück und Sinnempfinden.
Unterschiedliche Interpretationen schaffen auch die Möglichkeit eines
Diskurses, um sich selbst und seinen "Gegenüber" kennenzulernen
und besser zu verstehen. |
Ein wenig überspitzt vielleicht: "Tatsachen gibt es nicht, nur Interpretationen" (Friedrich Nietzsche, 1844-1900) |
Bei einer Interpretation von Bildwerken geht man im wesentlichen in drei Schritten vor (nach Panovsky: 1939): 1. präikonografische Analyse: Was ist dargestellt?
(Semantik) Für uns ist also insbesondere der dritte Schritt in der Darstellung von Panovsky von Bedeutung mit der zusätzlichen Fokussierung auf die Fragen des Betrachters: Was bedeutet das Werk für mich persönlich? Welche Assoziationen habe ich bei diesem Werk? Welchen Bezug, gefühls- und verstandesmäßig, kann ich zwischen dem Werk und mir selbst und meiner Lebenssituation herstellen? Kann das Werk etwas zu einer Erkenntnis meiner selbst und meiner speziellen Lebenssituation oder der gesellschaftlichen Situation, in der ich mich befinde, beitragen? Kunstwerke erscheinen uns durchaus für die Beantwortung der letzten Frage prinzipiell durchaus geeignet zu sein- da sie einen distanzierten, relativ unbefangenen Eindruck auf die eigene Person und ihre Lebenssituation gestatten. Der indirekte Weg zu einem Ziel ist nicht selten der "beste"! Aufschlussreich können für den Betrachter in diesem Zusammenhang auch die Antworten auf die Fragen sein: Hat sich der Eindruck, den das Werk auf mich spontan gemacht hat, im Laufe der Deutung und Interpretation geändert? Falls dies der Fall sein sollte, was ist der Grund hierfür? Wie hätte ich das Thema umgesetzt- und warum hätte ich mich für meine (andere?) Darstellung entschieden? Gibt es dafür einen Grund, der mit meiner Biografie, mit meinen persönlichen Werten, ... etc. zusammenhängt? |
Beim Entwurf einer Medaille/ eines Reliefs bringen
wir natürlich unsere eigene Auffassung des Themas unvermeidlicher
Weise mehr oder weniger ein - wir hoffen aber, dem Betrachter stets genug
Raum gegeben zu haben, seine eigene Deutung zu entwickeln, möglichweise
sogar in diametralem Kontrast zu unserer eigenen angedeuteten Auffassung.
Wir versuchen, stets einen nicht zu weiten Bereich für Interpretationen
anzubieten. Wer alles anbietet, wer jede beliebige Interpretation gleichberechtigt
zulässt- verbunden mit der Aufforderung an den Betrachter des Werkes:
"Nun, los, mach schon was daraus !" bietet letztlich nur das
"Nichts", die "Leere" und das "Unverbindliche"
an. Der Betrachter bleibt letztlich allein. Beispiele dafür gibt
es in der Kunst, aber auch in der Medaillenkunst zu Hauf. Wer dies mag
, ist sicherlich auch ein Freund von Rorschach- Figuren !? :-) Ein "geschlossenes Werk",
das für uns- abgesehen von möglicherweise ästhetischen
Reizen oder einer reinen Mitteilung von Fakten- von geringerem Interesse
ist, verweist den Betrachter hingegen in die Rolle eines reinen Konsumenten.
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Wir halten es nicht für sinnvoll, bei
der Interpretation unserer Werke nach einem starren Schema vorzugehen,
sondern der Leser kann und sollte sich natürlich- auch spontan- für
seinen speziellen Weg entscheiden. Ein mögliches Vorgehen wollen
wir hier aber dennoch- sicherlich idealisiert- skizzieren, das der Leser
an den als Beispiel hier gezeigten Plaketten nachvollziehen, modifizieren
und erweitern kann: - Welche Assoziationen werden in mir durch die Komponenten des Reliefs emotional und rational angeregt? Welche möglichen Bedeutungen fallen mir zu den einzelnen Teildarstellungen ein? Erkenne ich symbolhafte, allegorische und/ oder mythische Elemente? - In welcher Beziehung stehen die einzelnen Komponenten in sinnvoller Weise zueinander? Welche Alternativen gibt es für das Erkennen unterschiedlicher Zusammenhänge? -Welche Assoziationen werden in mir durch
das Betrachten der Gesamtdarstellung angeregt? Welche Interpretationen
bieten sich für die Gesamtdarstellung an? - Wie deute ich diese Zusammenhänge?
Lassen sich Fragen oder Erkenntnisse, die ich durch Interpretation aus
der Gesamtdarstellung entwickelt habe, auf Fragestellungen meines eigenen
Lebens beziehen? Kann ich aus einer Betrachtung meiner Lebensituation
aus der Distanz des Werkes übertragbare Erkenntnisse zu meinem Leben
ableiten? -Habe ich zu dem Werk eine produktive, sinnvolle
Beziehung, einen Zusammenhang also zu mir selbst, entwickeln können?
Eine solche Beziehung kann auch darin bestehen, dass ich das Werk wegen
seines Inhalts und/oder seiner Gestaltung ablehne. Oder ist mir das Werk
lediglich gleichgültig? Was sind meine persönlichen, subjektiven
Bewertungskriterien und "Wertmaßstäbe" zu seiner
Beurteilung? Ist das "Wie" dem "Was" angemessen? Kann
ich meine persönlichen Kriterien zur Bewertung eines Werkes über
ein "gefällt mir" oder ein "gefällt mir nicht"
hinaus formulieren?" - Der letzte Punkt dieser Aufzählung erscheint uns recht wichtig, da im Diskurs mit Anderen die Eigenarten der subjektiven Deutung deutlicher erkannt werden können, was einerseits Erkenntnisse über sich selbst und andererseits auch Erkenntnisse über den Gesprächspartner ermöglichen könnte. Damit kann auch eine vertiefte Interpretation des Werkes realisiert werden. Eine solche Interpretation ist i.a. nicht statisch, sondern kann sich aufgrund verschiedener Umstände durchaus nicht unwesentlich ändern. Gerade weil das Grundthema unseres Werkes die individuelle Gestaltung des menschlichen Lebens ist, bietet sich ein Diskurs mit einem anderen Betrachter über den Inhalt und die diesem angemesse Form recht naheliegend an. Wir weisen nochmals darauf hin, dass wir hier nur eine mögliche Basis für den uns besonders interessierenden Teilbereich einer Interpretation angegeben haben. In diesem Zusammenhang verweisen wir auf
die Eröffnungsrede "Über den notwendigen Zwang zur Interpretation
von Kunstwerken" von Rainer Wehr anlässlich einer Ausstellung
in seiner Galerie in Stuttgart vom 8.4.1997 bis 15.8.97. Diese Rede beginnt er mit drei- zugegebener Maßen- etwas provokanten Thesen: "1. Die Ausstellungsmacher zeitgenössischer
Kunst entziehen sich ihrer Interpretationspflicht gegenüber den präsentierten
Werken. Nach der Analyse der "postulierten" Situation stellt er als Ergebnis seiner Überlegungen die folgenden Thesen auf: "1. Der Ausstellungsmacher wird seiner Aufgabe nicht
gerecht, indem er zeitgenössische Kunst "nur" präsentiert.
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