"Kunst ist kein Luxus, sondern kommuniziert Werte, aber auch Verhaltensentwürfe und Weltanschauungen."

(Martin Schuster: Wodurch Bilder wirken, Psychologie der Kunst, Du Mont, 2011, ISBN 978-3-8321-9358-4)


Die vorstehende Aussage ist es durchaus "wert", etwas näher betrachtet zu werden:

Zunächst stellt sich uns die Fragenk: Was sind "Werte"? Welche "Werte" gibt es? (ohne Anspruch auf Vollständigkeit der Antwort) Ist es immer leicht, zu erkennen, welche Werte durch Kunst kommuniziert werden (sollen)? Diese Fragen erscheinen uns insbesondere für die Kunst der letzten Jahrzehnte (also für letzte Hälfte des 20. Jahrhunderts) von Bedeutung zu sein- aber auch für die Gegenwart (Anfang des 21. Jahrhunderts), in denen sehr verbreitet ein allgemeiner Werteverlust des Einzelnen , aber auch der Gesellschaft schlechthin- zumindest für den "Westen"- beklagt wird.

Sind "Werte" allgemein all die Dinge, Begriffe, Verhaltensweisen etc., die für uns "wertvoll" sind?
Eine Antwort mag sich der Leser selbst geben, wir wollen und können ihm diese Mühe nicht abnehmen.

Nicht wenige Vorkommnisse und Produkte des Kunstmarktes machen uns selbst allerdings- nicht nur hinsichtlich ihrer "Wertekommunikation" ein wenig skeptisch, ratlos, nachdenklich und/oder verursachen uns ein befremdetes Kopfschütteln.

Als nicht ganz uninteressantes Beispiel- wie wir meinen- führen wir hier ein Werk von Barnett Newman, einem Vertreter der Farbfeldmalerei, an. Das Werk heißt "Onement VI" und wurde im Mai 2013 bei der Frühlingsauktion für zeitgenössische Kunst beim Auktionshaus Sotheby's in New York für 34 Millionen Dollar versteigert.

Das Werk besteht aus einer großen blauen Fläche, soweit wir das von der uns zur Verfügung stehenden Abbildung beurteilen können- absolut monochrom, die senkrecht in der Mitte durch einen schmalen hellen Streifen unterteilt ist. Eine möglicherweise vorhandene Feinstruktur der Oberfläche konnten wir nicht wahrnehmen.

Welche Werte kommuniziert dieses Werk?

Stimmt vielleicht die obige Aussage von Martin Schuster gar nicht?

Ist es der "Reiz des Neuen", des "Anderen", des "großen Namens" von Barnett Newman, der dieses Werk so wertvoll macht? Oder ist es die nicht von uns wahrnehmbare Feinstruktur? Ist es die Tatsache, dass die Werke von Barnett Newman ein Vorbild für andere Künstler waren? Oder ist es die geschickte Vermarktung seines Werkes? Was geschickte Vermarktungen zu leisten imstande sind, wissen wir spätestens seit dem Ausbruch der Immobilienkrise in den USA kurz nach der Jahrtausendwende 2000.

Besteht der aktuelle symbolische Wert des Werkes für den Käufer in dem Signal: "Seht her, was wir uns leisten können"?

Ist es gar die Farbe "blau", die uns symbolhaft, einen Wert vermitteln soll? Blau wurde bei vielen Völkern als göttliche Farbe empfunden, da sie sowohl die Farbe des Himmels als auch des tiefen Wassers ist. Sie ist auch die symbolhafte Farbe der Beständigkeit und der Treue. Noch im 18. Jahrhundert wurde Blau allerdings auch als Symbol der Lüge, der Täuschung und der Verstellung verstanden. Blau- und darauf sei auch hingewiesen- war auch eine Symbolfarbe des DDR-Regimes, speziell für die FDJ (Freie Deutsche Jugend). Was kann uns also die Farbe "Blau" für einen Wert symbolhaft "kommunizieren"? Wir können allerdings den hier aufgenommenen Faden noch mühelos "weiterspinnen". Sagt nicht gerade die senkrechte Trennlinie zwischen den blauen Flächen aus, dass die Farbe "blau" ganz unterschiedlich hinsichtlich der durch sie symbolisierten Werte gedeutet werden kann und gilt diese Ambivalenz nicht auch sogar für "Werte" selbst? Als Beispiel hierfür führen wir die Werte "Treue" (Unsere Ehre ...) und "Ordnung" auf. Wir erinnern in diesem Zusammenhang auch an die vor einigen Jahren durch einen deutschen Politiker geschmähten "Sekundärtugenden".

Der Leser möge bitte den vorstehenden "Versuch einer Deutung" des Werkes bezüglich einer "Wertkommunikation" nicht ganz ernst nehmen. Dieser Versuch möge nur als Beispiel dafür gelten, welche Aussagen man mit ein wenig Phantasie auch aus abstrakten Werken herausdestillieren kann. Manches bei "Kunstbesprechungen" erscheint uns gerade in diesem Bereich geradezu grotesk zu sein.

Die Ambivalenz einer Deutung von Farben hinsichtlich von Werten gilt allerdings nicht nur für die Farbe Blau.

Ist der durch das Werk "kommunizierte Wert" aus der historischen Situation seiner Entstehung abzuleiten: Ist der kommunizierte Wert des Werkes der Kontrast zum Realismus der Kunst im Sozialismus und im Nationalsozialismus? Ist der kommunizierte Wert die "Freiheit", der "American way of life"- anything goes- die Gegenposition zur Diktatur?

Es ist anzunehmen, dass dem Betrachter noch weitere Alternativen für die durch das Werk kommunizierten Werte einfallen- mehr oder weniger plausibel.

Wir sind hinsichtlich dieses Werkes- und das ist nur ein Beispiel von vielen- ziemlich ratlos bezüglich des "kommunizierten Wertes". Oder soll es der durch das Werk vermittelte Wert sein, den Betrachter zum eigenständigen Nachdenken anzuregen? Das könnte ihn nicht ganz unwahrscheinlich zu nicht ganz im Sinne des Künstlers liegenden Resultaten führen. Zur Anregung von Erkenntnissen gibt es sicherlich- gerade auch nach durchaus plausiblen Auffassungen aus dem Bereich der Psychologie- viel geeignetere Anlässe.

Eine letzte Deutungsmöglichkeit bezüglich des kommunizierten Wertes gibt es allerdings noch: Es gibt keine allgemein verbindlichen Werte. Es gibt nur eine tabula rasa, die jeder mit seinen eigenen Wertvorstellungen ausfüllen kann. Ist es das? Welche Erkenntnis !



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