DIE SCHLAFENDE SCHÖNHEIT

"Schönheit ohne Grazie ist ein Angelhaken ohne Köder" ( Ninon de Lanclos)

DIESE PLAKETTE WURDE INNERHALB DES MEDAILLENPROJEKTES 2015 DES MEDALLIC SCULPTURE STUDIO SOFIA, BULGARIEN, ENTWORFEN- EIN PROJEKT VON PROF. B. NIKOLOV FÜR STUDIERENDE, LEHRENDE UND GASTKÜNSTLER (www.artmedal.net)

AUS DER ANKÜNDIGUNG DES PROJEKTES (ZITAT PROF. B. NIKOLOV):
"We always try to propose subjects, which give opportunity for creative interpretation of problems
that are of interest to humanity as a whole.
The title of the project is “1001 Nights - Seven Modern Medal Tales”.
The idea is to stay away from the original storylines of these tales and to give the artists
the opportunity for a diverse and modern interpretation.
"

"Schönheit" ist ein sehr komplexer Begriff. Das besonders "Schöne" an dem Reliefthema "Die schlafende Schönheit": Es hat unmittelbaren Bezug zum Untertitel dieser Webseite "... Fragen zur individuellen Lebensgestaltung." Dazu aber weiter unten mehr.

Wir wollen hier nicht über die unterschiedlichen Versuche einer Definition von Schönheit referieren. Das Thema ist dazu insgesamt zu vielschichtig und teilweise auch mit ideologischen Fußangeln (Leni Riefenstahl, Arno Breker, ....) versehen. Nur ein paar grundsätzliche Bemerkungen erlauben wir uns, damit der Betrachter vielleicht in seiner dadurch erweckten Neugier angeregt wird, sich etwas näher mit dem Begriff der "Schönheit" zu befassen und seinen eigenen Standpunkt dazu zu entwickeln. Dies ist gleichzeitig mit einer Erkenntnis der eigenen Werte und damit des "Selbst" verbunden.

Der Begriff "Schönheit" hat in vielen Bereichen des menschlichen Lebens Bedeutung. Er wird in der philosophischen Ästhetik näher betrachtet. Schönheit kann dabei zum einen als Konsens dafür definiert werden, was allgemein gesellschaftlich und mehrheitlich als erstrebenswert und attraktiv, mit angenehmer Empfindung und positivem Gefühl verbunden wird. Außer diesem, mit gesellschaftlichen Konventionen verbundenen Schönheitsmaßstab, gibt es noch einen individuellen, intimen Schönheitsmaßstab, der sich am ureigensten Empfinden orientiert. Dabei ist es individuell sehr unterschiedlich, wie weit der individuelle Schönheitsmaßstab von der Gesellschaft beeinflusst und gar- etwa durch die Werbeindustrie und Moden- manipuliert wird, ohne dass sich das Individuum dessen überhaupt bewusst ist.

Ein Aspekt des Reliefs ist es, den Betrachter dazu anzuregen, seinen individuellen Schönheitsmaßstab zu entwickeln und ihn bewusst vom doch sehr orts- und zeitabhängigen gesellschaftlichen Schönheitsmaßstab zu unterscheiden- auch um sich resistent gegenüber fremdbestimmten- nicht selten von kommerziellen Interessen geleiteten, Manipulationsversuchen zu machen.

"Schönheit" kann sich auf den menschlichen Körper, auf Dinge allgemein, auf Erlebnisse, Wahrnehmungen, sogar auf "Gegenstände" der Mathematik und Physik, .... beziehen. "Eine Nähe zu Begriffen wie Harmonie und Symmetrie fällt auf, eine Abgrenzung gegenüber sinnlicher Überwältigung oder dem "nur" Hübschen, dem das Besondere fehlt, ist nicht immer leicht." (Zitat aus Wikipedia, 2015) Dies gilt nach unserer Auffassung auch für nicht wenige Werke der Kunst- wobei die "sinnliche Überwältigung" relativ einfach mit den Wirkungen von Farbe erreicht werden kann- was allerdings keine neue Erkenntnis ist.

Seit der Moderne wird Schönheit im Bereich der Kunst teilweise recht kritisch betrachtet. Es wird als das "Unwahre", "Geschmeichelte", "Schöngemachte" betrachtet- das nicht selten bewusst zur "Ruhigstellung" des Menschen in der Realität seines Lebens verwendet wird. Übertrieben dargestellte Schönheit wirkt allerdings in der Regel ziemlich schnell auf den Wahrnehmenden als recht unerträglich [1] und wird häufig als Kitsch empfunden.

Eine Ergänzung zur "Schönheit" in der Kunst erscheint uns an dieser Stelle noch notwendig: "Alternative Ästhetiken wie die des „Erhabenen“, „Hässlichen“, „Interessanten“ oder „Authentischen“ ersetzen in der Kunst der Moderne zunehmend das „Schöne“, von dem man sich keinen Begriff mehr machen kann und/oder will." (Internet: Wikipedia, 2015) Wie weit ist der Leser bereit, dieser Entwicklung bedingungslos zu folgen?

Insbesondere wenn man eine teilweise Analogie zwischen der Kunst, im Sinne der Gestaltung eines "Materials", und der Gestaltung des eigenen Lebens- hier der (reflektierten) Lebenskunst- wahrnehmen kann, liegt es nahe, den Begriff der Schönheit auch auf das menschliche Leben zu beziehen.

"Wenn das Motiv dafür, das Leben zu gestalten, von der Kürze des Lebens herrührt, dann der Anstoß dazu, es schön zu gestalten, von der Sehnsucht nach der Möglichkeit, es voll bejahen zu können. Denn nur dann wird die Selbstachtung bestärkt, die, auch angesichts widriger Umstände, enorme Kräfte freisetzen kann." [1]

Was bedeutet es aber, wenn man von der "Schönheit eines Lebens" spricht? Vielleicht etwas vorsichtiger ausgedrückt, weil es sich auch hier um die Interpretation eines Begriffes handelt, was kann es bedeuten? Wir zitieren aus [1, Seite 190]:


"Für die Lebenskunst (gemeint ist die reflektierte Lebenskunst) und die Ästhetik der Existenz in einer anderen Moderne gilt es, den Begriff des Schönen neu zu definieren, und zwar in einer Weise, die für die Bestimmung des Schönen und seine Renaissance Bedeutung haben könnte, in jedem Fall aber für die Philosophie der Lebenskunst unverzichtbar ist. Diese Definition vereint ethische und ästhetische Dimensionen.in sich: Schön ist das, was als bejahenswert erscheint. Als bejahenswert erscheint etwas in einer individuellen Perspektive , die keine Allgemeingültigkeit beanspruchen kann, bezogen auf das Subjekt selbst, auf sein Leben, auf Andere, auf Verhältnisse, auf Dinge und Objekte, Formen und Inhalte, zu denen jeweils eine starke Beziehung hergestellt wird, die nicht die Nichtbeziehung der Gleichgültigkeit ist. Die Ästhetik der Existenz bezeichnet somit das Charakteristikum einer Existenz, die -in den Augen des Individuums selbst wie in den Augen Anderer- als bejahenswert und in diesem Sinne schön erscheint.
"

Wir selbst sehen in diesen Sätzen ein Problem andeutet: Aus der individuellen Perspektive mit ihrer fehlenden Allgemeingültigkeit, können durchaus zu Anderem, auf Verhältnisse , .... starke "positive" Beziehungen hergestellt werden, damit bejahenswert sein und als "schön" empfunden werden, die in den Augen von Anderen durchaus als "nicht schön" erscheinen. Wobei auch die Wahrnehmung der Anderen keinem absoluten Maßstab dafür liefern kann, was "schön" oder "nicht schön" ist. Es verhält sich wohl so wie mit dem Glück: Entscheidend dafür, ob wir glücklich sind, ist unsere eigene Auffassung darüber, nicht hingegen, ob die Anderen uns dafür halten.

In einer Ästhetik der Existenz kann es allerdings nicht "um das rücksichtslose Ausleben gegenüber Anderen gehen, die eigene Machtausübung muss vielmehr reflektiert werden,.. ". [2]

Ein Leben wird nicht nur aus schönen Erfahrungen bestehen können- wie kann es dann überhaupt insgesamt "als schön" bewertet werden?

Der Philosoph Wilhelm Schmidt weist in diesem Zusammenhang auf ein mögliches Missverständnis hin: "Die eigentliche Macht der Schönheit liegt dabei nicht in der Perfektionierung, oberflächlichen Glättung und Harmonisierung der Existenz, sondern in der Möglichkeit ihrer Bejahung. Bejahenswert kann keineswegs nur das Angenehme, Lustvolle oder, wie es im ausgehenden 20.Jahrhundert gerne genannt wurde, das "Positive" sein, sondern ebenso das Unangenehme, Schmerzliche, Hässliche, Negative. Die Ästhetik der Existenz umfasst auch das Misslingen, entscheidend ist, ob das Leben insgesamt als bejahenswert erscheint".

Eine Analogie zu dieser erweiterten Auffassung von Schönheit besteht im Begriff des "Glückes der Fülle", das auch die negativen Erfahrungen des Lebens- soweit dies überhaupt real möglich ist- integriert [3].

Wer aber wird sich ohne gravierende Gründe selbst eingestehen, dass sein Leben aus sehr viel oder gar fast nur aus Unangenehmem, Schmerzlichem, Negativem bestanden hat? Hier ist natürlich der Gnade des Selbstbetruges und eines schlechten Gedächtnisses Tür und Tor geöffnet.

Wie also interpretiert der Betrachter des Reliefs den Begriff der Schönheit, speziell auch ganz individuell hinsichtlich seines eigenen Lebens? Und wie könnte es "noch schöner" werden?


[1] Wilhelm Schmid: Mit sich selbst befreundet sein, Seite 136 und folgende, Suhrkamp, 2007, ISBN 978-3-518-45882-2
[2] Wilhelm Schmid: Schönes Leben?, Seite 186 und folgende, Suhrkamp, 2005, ISBN 3-518-06827-X
[3] Wilhelm Schmid: Glück- Alles, was Sie darüber wissen müssen, und warum es nicht das Wichtigste im Leben ist, 2007, Seite 28, Insel Verlag, ISBN 978-3-458-17373-1

 

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