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DIESES RELIEF WURDE INNERHALB DES MEDAILLENPROJEKTES 2017 ( TITEL DES GESAMTPROJEKTES 2017: "I HAVE A DREAM"; TITEL DES EINZELPROJEKTES: "TO GO ON" ) DES MEDALLIC SCULPTURE STUDIO SOFIA, BULGARIEN, ENTWORFEN- EIN PROJEKT VON PROF. B. NIKOLOV FÜR STUDIERENDE, LEHRENDE UND GASTKÜNSTLER (www.artmedal.net)

"TUN SIE NICHTS FALSCHES, DANN PASSIERT DAS RICHTIGE " [1]:

Ein Bereich der Interpretation betrifft den Betrachter auf seinem eigenen Lebensweg- den Betrachter, der- wie auf einem Seil balancierend- in dem ihm unbekannten zur Verfügung stehenden Zeitintervall seines Lebens weiterschreitet, stets in der Gefahr das Gleichgewicht zu verlieren und abzustürzen. Der Betrachter wird vielleicht durch die Darstellung angeregt, die Bedeutung einer fortwährend notwendigen Balance von seinen einander durchaus auch widersprüchlichen Wünschen, Antrieben und schließlich Handlungen, wahrzunehmen. Im Allgemeinen betrifft dies die Balance zwischen Verstand und Gefühl- in welchem Umfang diese Balance überhaupt möglich ist und wie schwer sie herzustellen ist, kann der Betrachter nur selbst beantworten. Leider haben wir persönlich den Eindruck, dass letztlich der "Gefühlsunterbau" (abhängig von recht vielen Faktoren, nicht nur von der gewachsenen Erfahrung) lediglich von einer recht dünnen und brüchigen Schicht der Verstands überdeckt wird- was insbesondere für die zentralen Bereiche der Persönlichkeit und der Lebensgestaltung gilt. Häufig sind wir uns dessen aber garnicht bewusst.

Es ist also durchaus schwierig- und dafür gibt es gravierende Argumente- die Balance von Gefühl und Verstand- bei den zu treffenden Entscheidungen mit den daraus folgenden Handlungen und dem entsprechenden Verhalten allgemein- auf seinem Lebensweg zu erreichen: "Die Kluft zwischen Wissen/Absicht einerseits und Entscheidung/Handlung/Verhalten andererseits ist unvermeidbar, weil Handlungen nur zum kleineren Teil auf bewussten Motiven und zum größeren Teil auf unbewussten Antrieben beruhen.
Akzeptiert man die Existenz eines Unbewussten, dann gibt es zahlreiche Einflüsse, von denen ein Mensch in der Situation, da er sich bewusst ein Ziel vornimmt, nichts weiß und von denen er vielleicht niemals etwas wissen wird."[1]

Das macht eine rationale Selbsterkenntnis nur sehr eingeschränkt möglich. Wünsche drücken sich besser in Bildern aus: Durch Bilder kann "ein Zugang zum Unbewussten geschaffen werden mit dem Ziel, Informationen über sich selbst zu sammeln und auf diese Weise zu echter, innerlich gedeckter Selbsterkenntnis zu finden."[1]

So kann man, sofern man dafür "offen" ist, durch individuelle Interpretation eines dafür geeigneten "Kunstwerkes", einen Blick aus der Distanz auf sich selbst werfen- wie von einem äußeren Beobachter- und damit zu einer angemesseneren Beurteilung der eigenen Persönlichkeit gelangen. Zusammenhänge sieht man bekanntlich häufig erst aus einer gewissen Distanz unbefangener und somit besser. Das ist ein Anliegen nicht weniger Werke von uns ... .

Ein anderer Bereich der Interpretation der hier gezeigten Plakette betrifft die Sorge um das eigene Wohlergehen und der Menschen, zu denen wir eine enge Beziehung haben im Zwiespalt zu Wahrnehmungen des in großen Teilen der Erde herrschenden Leids, der Ungerechtigkeiten, der Verschwendung von Ressourcen und öffentlichen Geldern, der Perversionen der Finanzmärkte, der Grausamkeiten- die Menschen anderen Menschen und auch Tieren zufügen, der immer weiter fortschreitenden Beschädigung der Natur, der gesellschaftlichen und staatlichen Heuchelei und ... und ... . Wie weit sollte man dieses Leid und diese Ungeheuerlichkeiten subjektiv aus dem Bewusstsein ausblenden, um einigermaßen ruhig schlafen zu können oder sich um das Leid der weiteren Umgebung kümmern, die "Welt" also retten zu wollen, um ein gutes Gewissen zu haben?

Ein Hinweis zu diesem Bereich der Darstellung , damit die Plakette nicht leichtfertig oder gar absichtlich so interpretiert wird, wie es in einer Zeit gesteigerter politischer Korrektheit nur allzu gern gemacht wird, um sich als ein besonders guter Mensch zu fühlen oder gar bei Anderen aufzuspielen:

"Sie sind nicht für den Zustand der Welt verantwortlich. Das klingt hart und unsympatisch, entspricht aber der Wahrheit" [2]. Der Nobelpreisträger Richard Feynman stimmt in dieser Ansicht mit John von Neumann, dem genialen Mathematiker und "Vater der Informatik" überein:

"John Neumann brachte auf mich diesen interessanten Gedanken: Du bist nicht verantwortlich für die Welt, in der du dich befindest. Also habe ich für mich eine Art soziale Unverantwortlichkeit entwickelt. Sie hat mich seither sehr glücklich gemacht."

So mancher (oder gar viele ) Leser wird (werden) auf diese Aussage reagieren mit einem: "Typisch Physiker, Mathematiker, Ingenieur, Technokrat, Finanzhai ...- typisch also für Menschen ohne "Herz" (egoistische, engstirnige, geldgierige, alte, weiße Männer).

Zugegeben, das klingt nicht gerade nach der christlichen Botschaft: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst". Allerdings müssen sich viele Christen dann fragen lassen, wie sie es - gerade auch mit Absegnung hoher christlicher Würdenträger- mit dieser Botschaft gehalten haben und noch halten. Wie ist eigentlich der Nächste nach christlichem Selbstverständnis definiert? Als folgsamer Angehöriger derselben Glaubensrichtung ???

Dobelli [2] ist bescheiden in seinen Ansprüchen, selbst die Welt verbessern zu wollen - sinnvolle Spenden natürlich ausgenommen: "Führen Sie ein anständiges, produktives Leben, und seien Sie kein Unmensch. Damit haben Sie schon einiges für eine bessere Welt getan."

Der Betrachter wird vielleicht durch die Plakette angeregt, sich zu diesem Thema seine ganz persönliche Auffassung zu bilden und eine eigene Strategie zu entwickeln.

"... es ist wichtig, dass Sie eine Strategie haben. Sonst werden Sie Mühe haben, Ihr Leben zu leben. Sie werden hin-und hergerissen sein zwischen allem, was auch noch getan werden müsste, werden sich schuldig fühlen- und unter dieser Last am Ende doch nichts erreicht haben." [2]

Wie man mit dem Leid der Menschen in der Welt insgesamt, ihrem Elend, ihrer wirtschaftlichen Not, ... umgeht, lässt sich auch aus einer anderen Perspektive betrachten- der Perspektive von Staaten. Wie sollten sich diese in vernünftiger Weise angesichts ihrer begrenzten Ressourcen verhalten?- und was können sie der eigenen Bevölkerung "zumuten" ohne sie zu "überfordern" - oder gar die eigene Gesellschaft zu destabilisieren? Das grundsätzliche Problem- und diese Bemerkung soll nur als Anregung zum "weiterdenken" dienen- ist die sehr häufig anzutreffende Vernachlässigung der Nebenwirkungen (auch längerfristigen und praktisch irreversiblen) von Entscheidungen, von "Rückkopplungseffekten" und der speziell vorhandenen Randbedingungen [3].

Allgemein kann die Darstellung den Betrachter dazu anregen, sich grundsätzliche Gedanken über seine individuelle Balance zwischen Verstand und Gefühl zu machen, anders ausgedrückt- zwischen seiner rein rationalen und seiner emotionalen Intelligenz, die nicht selten bei einer Person in großem Widerspruch stehen können- was in der Regel zu großen Problemen führt. Die Notwendigkeit einer Berücksichtigung unterschiedlicher Wahrnehmungs- und Deutungsmöglichkeiten wird als Prinzip der "Komplementarität" bezeichnet.

[1] Michael Mary: Die Glückslüge- Vom Glauben an die Machbarkeit des Glücks, 2003, ISBN 978-3-404-26889-4

[2] Rolf Dobelli: Die Kunst des guten Lebens: 52 überraschendeWege zum Glück, Weg 34 - Mentale Katastrophenarbeit- Warum Sie nicht für den Zustand der Welt verantwortlich sind, PIPER Verlag, 2017, ISBN 978-3-492-05873-5

[3] Burger: Warum Reformen und Krisenstäbe scheitern können- Wie verhalten sich intelligente Individuen bei der Lösung sehr komplexer Probleme?: UMSCHAU 75 (1975) , Heft 13, Seite 407

Weitere Hinweise sind z.B. unter dem Stichwort "Vernetztes Denken" und bei den Autoren Dietrich Dörner ( Dietrich Dörner: Die Logik des Misslingens; Rowohld Verlag, 1989, ISBN 3 498 01260 6) und Frederic Vester zu finden.

Ergänzung:

Für den Umgang mit komplexen Systemen bleibt nicht selten auch ganz Grundsätzliches leider unbeachtet- Dinge, die auch bereits der "gesunde Menschenverstand" (einige Leser werden hier bereits ihre Nase rümpfen, dessen bin ich mir durchaus bewusst) verbieten würde. Darauf bezieht sich auch eine kleine Geschichte von Peter Hacks.

Den Leser/der Leserin, die sich die Mühe gemacht haben, den Hinweisen zu dieser Plakette bis hierhin zu folgen, geben wir noch eine zusätzliche Information zu den oben erwähnten Wissenschaftlern von Neumann und Feynman. Wir zitieren aus- Klaus Wilhelm , PSYCHOLOGIE HEUTE , März 2013, Seite 10:

"Beschränkte Wahrnehmung
Wer vorwiegend analytisch denken muss, kann schnell seinen Sinn für die Mitmenschen verlieren
... Es gibt ein Netzwerk, das wir anschalten, wenn wir analytisch, mathematisch denken, logisch denken. Und ein Netzwerk, das für unser Sozialleben und moralische Fragen wesentlich ist und uns mitfühlend empfinden lässt. "Beides zusammen schließt sich aus", sagt Anthony Jack von der Case Western University in Cleveland im US- Bundesstaat Ohio: Ist das eine aktiv, unterdrückt es das jeweils andere. Bestätigen sich die Ergebnisse nach einer ersten Studie, bedeutet das: Wer stets in analytisches Denken verstrickt ist, kann schnell seinen Sinn für die Mitmenschen verlieren. ...
Dennoch so betont der Forscher, kann sich niemand mit Verweis auf die biologische Struktur des menschlichen Gehirns freisprechen."Die Verantwortung liegt darin, eine Balance zwischen den beiden Systemen zu finden", sagt er."

Besonders einfach, sich für bedingungslose oder fast bedingungslose Mitmenschlichkeit zu entscheiden- diese überaus kritische Bemerkung versagen wir uns nicht- fällt es natürlich denen, die entweder keine persönliche Nachteile oder sogar noch Vorteile (moralische Reputation) davon erwarten oder die zu erwartenden Nebenwirkungen ihrer Entscheidung auf andere nicht voraussehen können oder nicht beachten wollen.

Nachtrag im Jahr 2017:

Die hier angedeutete moralische und ethische Problematik kann auch noch aus einer etwas anderen Perspektive betrachtet werden:

Gesinnungsethik und Verantwortungsethik.

Hierzu führt der Soziologe und Nationalökonom Max Weber aus:
"(...)Da liegt der entscheidende Punkt. Wir müssen uns klarmachen, daß alles ethisch orientierte Handeln unter voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: es kann "gesinnungsethisch" oder "verantwortungsethisch" orientiert sein. Nicht daß Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit und Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch wäre. Davon ist natürlich keine Rede. Aber es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man unter der gesinnungsethischen Maxime handelt- religiös geredet -: Der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim", oder unter der verantwortungsethischen: daß man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat. Man mag einem überzeugten gesinnungsethischen Syndikalisten noch so überzeugend darlegen, daß die Folgen seines Tuns die Steigerung der Chancen der Reaktion, gesteigerte Bedrückung seiner Klasse , Hemmung ihres Aufstiegs sein werden- und es wird auf ihn gar keinen Eindruck machen. Wenn die Folgen einer aus reiner Gesinnung fließenden Handlung üble sind, so gilt ihm nicht der Handelnde, sondern die Welt dafür verantwortlich, die Dummheit der anderen Menschen oder- der Wille Gottes, der sie so schuf. Der Verantwortungsethiker dagegen rechnet mit eben jenen durchschnittlichen Defekten der Menschen- er hat, wie Fichte richtig gesagt hat, gar kein Recht, ihre Güte und Vollkommenheit vorauszusetzen, er fühlt sich nicht in der Lage, die Folgen eigenen Tuns, soweit er sie voraussehen konnte, auf andere abzuwälzen. Er wird sagen: diese Folgen werden meinem Tun zu gerechnet. "Verantwortlich" fühlt sich der Gesinnungsethiker nur dafür, daß die Flamme der reinen Gesinnung, die Flamme z.B. des Protestes gegen die Ungerechtigkeit der sozialen Ordnung, nicht erlischt. Sie stets neu anzufachen, ist der Zweck seiner, vom möglichen Erfolg her beurteilt, ganz irrationalen Taten, die nur exemplarischen Wert haben können und sollen."

Der "Ausdeutende" der Plakette mag vielleicht die Darstellung auf ihr auch in dieser Hinsicht betrachten und- weitergehend- konkrete Ereignisse und gesellschaftliche Vorgänge unter den geschilderten Gesichtspunkten individuell bewerten.

Der zitierte Text wurde dem Buch von Ulrich Wickert "Das Buch der Tugenden " entnommen: Seite 380, Hoffmann und Campe, 1. Auflage 1995, ISBN 3-455-11045-2

 

 

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