wachsen oder verfallen

wachsen oder verfallen

Wachsen oder Verfallen

Die ersehnte Ruhe in der Freizeit hat ihre Tücken. Man könnte zum Nachdenken kommen.
(Oliver Hassenkamp, deutscher Schriftsteller (1921-1987))

"Die Posse vieler Arbeitsamen.-Sie erkämpfen durch ein Übermaß von Anstrengung sich freie Zeit und wissen nachher nichts mit ihr anzufangen als die Stunden abzuzählen, bis sie abgelaufen sind. (Friedrich Nietzsche)*

Zitat von Dennis Gabor :" Arbeit: Für die Mehrheit der Menschen ist Arbeit die einzige Zerstreuung, die sie auf Dauer aushalten können."
(entnommen aus : Zitate und Sprichwörter, garant-verlag, 2006, ISBN 3-938264-17-9) Seite 30)

Ein "exemplarischer" Kommentar: Wie weit definieren wir uns über die Arbeit ? Wie weit sind wir fähig, für uns selbst sinnvoll, Freizeit, Ruhestand , die Zeit einer Arbeitslosigkeit zu gestalten ? Drehen wir nur unsere Daumen - als Opfer der Langeweile. Augenscheinlich noch gut bei Kräften, steht es uns frei, Neues zu "entdecken", Erfahrungen und Erkenntnisse zu gewinnen oder unsere Kräfte- die geistigen und körperlichen- durch Nichtgebrauch verfallen zu lassen.
Welche Bedeutung haben in diesem Zusammenhang die persönlichen Interessen und die Neugier?

Diese Medaille ist als unser erstes Werk entstanden. Sie deutet schon die grundsätzliche Richtung unseres Gesamtwerkes an - die Beschäftigung mit der Frage : Wie können wir unser Leben, die uns nur sehr begrenzt zur Verfügung stehende Lebenszeit - abgesehen von der Erwerbstätigkeit - für uns sinnvoll ( - was ist das überhaupt ? ) gestalten ? Die Medaille lädt den Betrachter zur Interpretation ein - die sehr unterschiedlich ausfallen kann - in Abhängigkeit von seinem eigenen Wesen , von seinen Werten und von den äußeren Bedingungen , in denen er lebt.

tretmuehle

DIE TRETMÜHLE
(aus Le Monde Illustre' , 1867)
Was machen nur die "Treter", wenn sie nicht treten müssen ?


Wir halten die Fähigkeit zu einer angemessenen Interpretation von Vorgängen, Reaktionen eines Gegenüber, Situationen, Werken , etc. und damit die Anregung der Phantasie, das tastende Ausprobieren und Knüpfen von Zusammenhängen, für eine sehr wichtige Angelegenheit. Interpretation schafft uns unsere eigene Welt und bietet die Möglichkeit , uns auch in die Welt des Anderen hineinzudenken - falls wir dies überhaupt wollen. Die Interpretation unserer Lebenszusammenhänge entscheidet auch so in erheblichem Maße über unsere Lebenszufriedenheit, Glück und Sinnempfinden. Unterschiedliche Interpretationen schaffen auch die Möglichkeit eines Diskurses, um sich selbst und seinen "Gegenüber" kennenzulernen und besser zu verstehen.

Ein wenig überspitzt vielleicht: "Tatsachen gibt es nicht, nur Interpretationen" (Friedrich Nietzsche, 1844-1900)

Ein hübsches Beispiel dafür, wie unterschiedlich Interpretationen ausfallen können, ist das Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen: Hat nun Gott den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen, oder ist es genau anders herum ? Für beide Auffassungen gibt es interpretative Unterstützung.

Beim Entwurf einer Medaille/ eines Reliefs bringen wir natürlich unsere eigene Interpretation des Themas unvermeidlicher Weise mehr oder weniger ein - wir hoffen aber, dem Betrachter stets genug Raum gegeben zu haben, seine eigene Deutung zu entwickeln, möglichweise sogar in diametralem Kontrast zu unserer eigenen angedeuteten Auffassung. Wir versuchen, stets einen nicht zu weiten Rahmen für Interpretationen anzubieten. Wer alles anbietet - verbunden mit der Aufforderung an den Betrachter : "Nun, los, mach schon was daraus !" bietet letztlich nur das "Nichts", die "Leere" und das "Unverbindliche" an. Der Betrachter bleibt letztlich allein. Beispiele dafür gibt es in der Kunst, aber auch in der Medaillenkunst zu Hauf. Wer dies mag , ist sicherlich auch ein Freund von Rorschach- Figuren !?   :-)

Eine Vielzahl unserer Werke beschäftigt sich mit "Fragen", also mit Interpretationsangeboten in einem umgrenzten Bereich . Antworten sind häufig sehr zeitgebunden, Fragen und Probleme , die sich in einem Menschenleben auftun, sind es weniger. Wir haben häufig das Empfinden gehabt, dass die materielle Dauerhaftigkeit vieler Medaillen in starkem Kontrast zu der Zeitgebundenheit des Themas, des Inhalts, steht. Das ist leicht zu verstehen, da sie häufig aus einer bestimmten Auftragssituation und dem Zwang, einen Lebensunterhalt zu sichern, entstanden sind. Wir können uns in dieser Hinsicht größere Freiheit erlauben und versuchen auch , diese für uns , aber auch für den Betrachter, sinnvoll zu nutzen. Vielleicht lernt der Betrachter beim Betrachten einiger Medaillen und Reliefs auch etwas über sich selbst ? Das wäre sicherlich der Idealfall.

Wir messen also nicht nur dem "Wie" , sondern auch dem "Was" eine -gleichwertige- Bedeutung zu. Unser Ziel ist es, Form und Inhalt in angemessener Weise aufeinander abzustimmen. Abstrakte Darstellungen erscheinen uns aus den oben genannten Gründen bei den meisten von uns bearbeiteten Themen weniger geeignet zu sein.

Wir haben hier bereits einleitend auf die große Bedeutung hingewiesen, die die Eigenschaft "interpretationsanregend" oder "interpretationsgeeignet" für unsere Werke hat. Diese Eigenschaft ist allerdings in unterschiedlichem Maße in unseren Werken vorhanden und hängt nicht nur von diesen selbst ab. Der Grund für diese vorgezogenen Bemerkungen ist darin zu sehen, dass für nicht wenige Betrachter bei Medaillen und Reliefs das Kriterium "nichttriviale Interpretierbarkeit" durchaus ungewohnt und unerwartet zu sein scheint - zumindest haben wir dies selbst mehrfach festgestellt.

An anderer Stelle werden wir in Zukunft noch etwas ausführlicher auf die Beziehung "Reliefschaffender - Relief - Betrachter" eingehen.

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* entnommen aus: Philipp Werner: Die schönsten Lebensweisheiten, Fischer Taschenbuch Verlag, 2012, ISBN 978-3-596-90385-6