Sinn und Sinnlosigkeit

"Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos." (Loriot)

Unsere Werke können in ihrer Mehrzahl auch als ein Versuch angesehen werden, sowohl für den Gestalter als auch für den Betrachter, eine Anregung zur "Sinnsuche" und "Sinnfindung" in der individuellen als auch in der allgemein weltlichen Bedeutung zu geben. Kunst kann auf verschiedene Weise zur "Sinnfindung" beitragen- im verkündenden, propagandistischen und weltlichen "Sinne", wie beim Sozialistischen Realismus, in der Nazikunst oder aber auch mit transzendenter, bekehrender und erbauender Ausrichtung in der religiösen Kunst.

Fragen und Anregungen zur Sinnsuche und Sinnfindung können auch auf völlig andere Weise als durch unsere Werke stimuliert werden. Wer tiefe, nur allzu berechtigte, Zweifel am "Sinn" im privaten oder allumfassenden Bereich hat, wird dieses Lebensgefühl angemessen auch durch im Anschein auf viele Betrachter in Form und Inhalt sinnlos erscheinende Werke ausdrücken können; Werke, die die Sinnlosigkeit der Existenz selbst direkt oder indirekt zum Thema haben, können durchaus als sehr rätselhaft und tiefsinnig erscheinen und damit auch einen gewissen Reiz besitzen- schließlich ist auch eine sinnlose Welt oder ein als sinnlos empfundenes Leben voller Rätsel. Es gibt durchaus Rätsel, die faszinierend sein können- viele Rätsel sind es aber sicherlich nicht. Und der Mensch sucht in solchen- unter Umständen nur vom Zufall geformten Gebilden- häufig instinktiv nach Mustern und verborgenen Zusammenhängen. Eine mögliche Reaktion auf solche Werke kann als Gegenreaktion gerade eine Suche nach "Sinn" provozieren- muss also nicht den Betrachter immer tiefer in ein Gefühl der allgemeinen Sinnlosigkeit oder depressiven Verstimmung führen.

Eine solche sehr allgemein gehaltene Anregung, sich dem "Sinnproblem" zu stellen, regt allerdings, wie in der Psychologie erkannt worden ist, die Phantasie des Betrachters verhältnismäßig wenig an. Wir haben uns deshalb für einen anderen Weg entschieden, indem wir den "sinnvollen" Interpretationsbereich durch zusätzliche Hinweise, wie z.B. einen Titel einschränken. Werke können auf den Betrachter in Form und Inhalt als völlig sinnlos erscheinen- wir maßen uns jedoch nicht an, die Werke selbst als sinnlos bezeichnen.

Wir geben hier ein, nach unserere Auffassung , besonders markantes Beispiel an, dass durchaus geeignet ist, sich über den Begriff "Sinn" in einer Gegenposition einige Gedanken zu machen- insofern hat es dann eben doch wieder Sinn. Nur- es gibt ziemlich viele von diesen Werken mit ähnlichem "Charakter", sehr, sehr viele.

Wir beziehen uns konkret auf ein Werk von Arnulf Rainer mit dem Titel "Blindkritzelei", 1951. Lassen wir den Künstler selbst zu uns sprechen: "Mein Glaube an die bisherige Kunst war erloschen, ich war in einer Krise, auf einem Nullpunkt angelangt. Ich wusste nicht wie, was, wozu, warum. Etwas völlig Neues, noch nie Gemachtes schien mir unentbehrlich".

Wir zeigen hier zwar keine Abbildung des Werkes, der Titel "Blindkritzelei" erscheint uns jedoch eine sehr treffende Beschreibung zu sein.

Die Gemütsverfassung des Künstlers ist für uns durchaus nachvollziehbar- nur seine Antwort auf die sich ihm stellenden Fragen erscheint uns nicht recht nachvollziehbar. Neues allein um des Neuen willen, kann das wirklich die Lösung sein?

Es hat jedoch den Anschein, dass für nicht wenige Künstler und Betrachter dies ein ganz entscheidendes, wenn nicht gar das Kriterium zur Beurteilung von Werken ist.

Wir wollen hier nicht verschweigen, dass von den Blindkritzeleien der Künstler alle bis auf zwei vernichtet hat.

Dieses Beispiel haben wir entnommen : Thomas Zaunschirm: DIE FÜNFZIGER JAHRE, Text Seite 88, Abbildung Seite 90, Wilhelm Heyne München, 1980, ISBN 3-453-41348-2.

In diesem Werk der Stilkunde sind einige bemerkenswerte Kunstkritiken aufgeführt, die interessante Einblicke in Teilbereiche der Kunst der Malerei und in das Kunstschaffen von bestimmten Malern gewähren, die aber auch auf andere Bereiche und Künstler verallgemeinerungsfähig sind. Dabei werden auch indirekt Fragen nach dem "Sinnempfinden" beim Betrachten von Kunstwerken gestellt:

Seite 89:
"Kritiker haben sich mit Mathieus "direkter Malerei" schwer getan und sie mit heideggerschen Floskeln karikiert: "In Mathieu denkt sich nichts, es "nichtet" sich das Nichts zu einer gespenstischen Grimasse und Gebärde." " In den Bildern Mathieus ... strömt, wenn der erste Schock vorüber ist, gähnende Leere. Die Langeweile der absoluten Freiheit fasst uns an, weil diese Bilder nicht, wie Kunstwerke, eine Welt beinhalten"."

Der letzte Satz ist für uns besonders von Interesse, weil sich die absolute Freiheit auch auf die Interpretation der und die möglichen Assoziationen zu den Werken beziehen lässt und dies auch nach unserer Auffassung in dieser Beliebigkeit leicht langweilig werden kann. Sofern die Kunstwerke allein eine nicht nach vollziehbare und nicht einfühlbare Welt des Künstlers darstellen, ist die Gefahr der Langeweile des Betrachters wohl nicht unrealistisch.

Seite 90:
"Die Künstler meinten, dass ES aus ihnen sprechen würde, wenn sie sich psychisch leer machten. Aber es gilt, was ... auf ... bezieht, ganz allgemein:
Das Werk ist ein Beweis dafür, dass das Unterbewusstsein nur dann künstlerisch relevant sein kann, wenn die bewusste Schicht der Persönlichkeit Einzigartigkeit besitzt. Das Unterbewusste existiert nicht als künstlerisch evidenter Allgemeinbesitz."

Wir haben dieses Zitat aufgeführt, obwohl wir ihm in dieser Ausschließlichkeit nicht zustimmen, weil wir zu Werken, die ausschließlich die subjektive Gefühlsbeschaffenheit des Künstlers zeigen- im allgemeinen abstrakt und sehr farbig gestaltet- nur sehr schwer, falls überhaupt, eine Beziehung knüpfen können. Natürlich können solche Werke- trotz einer empfundenden Beliebigkeit- einen gewissen ästhetischen Reiz und/oder auch den Reiz des Neuen auf den Betrachter besitzen.

Solche Werke kann aber letztlich auch ein gut programmierter, dynamischer Bildschirmschoner (für ältere Bildschirme war so etwas noch knotwendig) in beliebiger Menge mit dem Zufallsprinzip liefern- wobei es dann kaum zu unterscheiden ist, ob die Bilder mensch- oder maschinengemacht sind. Ist das, was so ein Bildschirmschoner dann zeigt, noch Kunst? Oder ist der Programmierer eines solchen Bildschirmschoners ein besonders vielseitiger Künstler?


Das Empfinden von Sinn kann sich beim Betrachten eines Kunstwerkes auch durch Erleben des Geheimnisvollen einstellen:

"Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle" (Albert Einstein)
"Ein ungeklärtes Geheimnis schenkt uns oft mehr Schönheit und Freiheit, als seine Lösung uns geben kann" (Jean Giraudeux)

Ob das Geheimnuisvolle in jedem Fall das Schönste ist, was der Betrachter eines Kunstwerkes erleben kann, ist sicherlich nur durch den Betrachter selbst entscheidbar. Wir sind der Auffassung, dass es grundsätzlich unterschiedliche Arten des Geheimnisvollen gibt. Außerdem hängt die Empfindung des Geheimnisvollen nicht nur vom Anlass. sondern- nicht nur in der Kunst- auch von den Eigenschaften des Betrachters ab- so z.B. von seinem Wissensstand, seiner Kombinationsfähigkeit, seiner Übung im Interpretieren und von seinem Interesse allgemein ab. Sofern der Eindruck des "Geheimnisvollen" durch die überwiegende Einbeziehung des Zufalls hervorgerufen wird oder sich das Rätselhafte des Werkes auf die Andeutung des Gefühlslebens- etwa durch viele farbige, abstrakte Formen realisiert, einer sensiblen Künstlerseele beschränkt- wobei die Werke durchaus ästhetisch ansprechend sein können, können wir den Reiz des Geheimnisvollen nur sehr bedingt nachvollziehen.

Es gibt auch Werke, die den Eindruck einer "künstlichen Verrätselung" und eines "simulierten Tiefsinns" in uns erzeugen, was uns eher etwas verärgert. Der Künstler scheint uns in diesen Fällen zu denken: Ich habe jetzt einige Dinge zusammenhanglos in meinem Werk untergebracht- versuche mal etwas daraus zu "machen"- (wie beim Rorschachtest).

Wir haben bis jetzt der Versuchung widerstanden, dem Zufall in unseren Werken einen Raum zu geben: So haben wir keine Keramikreliefs zerbrochen, auf eine Platte gestreut und dort in zufälliger Lage befestigt. Was durchaus auch "interessante" Formen hervorbringen könnte. Der Sinn einer solchen Aktion würde für uns sehr begrenzt sein. Interessante, absonderliche, beliebige, rätselhafte Formen gibt es in unserer Umgebung zu Hauf- wozu diese "unendliche" Kollektion noch um ein paar Werke vergrößern ? Schon allein gegen die Konkurrenz der Natur mit ihrem mannigfaltigen Formen- und Farbenreichtum zu bestehen, ist ziemlich aussichtslos.

"Neue Technologien" eröffnen dem technikinteressierten Künstler weitere Möglichkeiten sich durch grundsätzlich auf neuartige Weise hergestellte Werke einen "Namen" zu schaffen. Dafür bietet sich der in den letzten Jahre entwickelte 3D- Drucker, womöglich noch in Kombination mit in einem Rechner erzeugten Zufallsformen an. Solche Werke können natürlich auch "geheimnisvoll aussehen-

Eine starke Einbindung des Zufalls kann durchaus von "Vorteil" sein, ist der Künstler dadurch in die Lage "interessantere " Formen hervorzubringen, als es seiner Phantasie und Gestaltungskraft entspricht. Die Frage ist nur, wie lange solche inhaltslosen Formen und Farben ihren Reiz auf den Betrachter behalten. Man mag einwenden, dass in der heutigen, besonders schnelllebigen Zeit, die besonderen Wert auf den beständigen Wechsel um des Wechsels willen und auf den äußeren Anschein legt (in der Automobilindustrie hat man dafür den charakteristischen Begriff "Qualitätsanmutung geprägt) , eine solche Problematik bedeutungslos ist.

Es mag allerdings noch einen anderen Grund für eine starke Einbindung des Zufalls in die Gestaltung der eigenen Werke geben: Wer die Welt und sein Leben primär vom blinden Zufall bestimmt sieht. kann sein Lebengefühl durch die Verwendung von zufälligen Elementen angemessen ausdrücken- das sich betrachterabhängig leicht einstellende Gefühl der Sinn- und Bedeutungslosigkeit, des Ausgeliefertseins und der Hilflosigkeit kann durchaus in diesem eine "Resonanz der Gefühle" hervorrufen- und dadurch wieder ein Empfinden von Sinn hervorrufen: Der Betrachter kann seine Gefühlswelt mit dem Werk unmittelbar verknüpfen. Auch für den Künstler selbst ist ein solches Werk sinnvoll- kann er mit ihm seine Individualität ausdrücken: Individualität verstanden als besondere Verbindung mit der Lebensgeschichte, Lebenseinstellung dem Wesen des Künstlers. An anderer Stelle dieser Webseite wurde bereits darauf hingeweisen, dass künstlerische Bildwelten durch "miteinander verschränkte Merkmale" charakterisiert sind, wozu neben der Interdependenz von Inhalt und Form und, im Zusammenhang damit, die Interpretationsoffenheit, die Komplexitär, die Originalität, die Gesellschaftlichkeit, die Geschichtlichkeit und die Individualität gehören. Letztere, allerdings in sehr unverbindlicher, vager Form mit Nähe zur Beliebigkeit kann sich auch durch Verwendung des Zufallsprinzips bei der Gestaltung der Werke ausdrücken- eben als Darstellung des eigenen Lebensgefühls und der Lebenserfahrung.

Wie sinnvoll solche Werke des Zufalls, des Gegenstandslosen, der reinen Schwelgerei in Farben sind, mag auch hier der Betrachter für sich selbst entscheiden. Wir persönlich legen einen besonderen Wert auf Form und Inhalt, können uns also speziell bei unserer Themenwahl für solche Werke nicht sonderlich erwärmen. Es bleibt hier die Frage, welche Beziehung der Betrachter zu Werken aufbauen kann, die durch den Zufall, durch Beliebigkeit oder spontane Abreaktion eines sehr subjektiven Gefühlslebens gekennzeichnet werden können. Wir vermuten- ohne Ironie- , dass Letzteres hauptsächlich eine eher therapeutische Bedeutung für den Künstler hat.



Aus der gleichen Literaturquelle (Seite 82) entnommen:

Ein weiteres Beispiel zur Erzeugung eines Sinnempfindens beim Betrachters bezieht sich auf Werke des katalanischen Malers Tapies.
Wir führen es an, um zu zeigen, auf welch unterschiedliche Weise der Sinn eines Kunstwerkes beim Betrachter generiert werden kann:

"Als Katalane schöpft er aus der Höhlenmalerei der spanischen Urzeit, aus der archaisch- bäuerlichen Wohnwelt seiner Heimat und aus der Faszination alter Schriftzeichen. Die oft als Tore, Riegel, Fenster wiedergegebenen Wandgevierte sind als Siegel unbetretbarer, verborgener Geheimnisse gedeutet worden. "Diese eindringende, umstellende, abgeschirmte Leere mochte das Nichts sein und die Angst oder auch das Heilige und die Verheißung". Und die unlesbaren Zeichen darauf "verriegelten den Sinn" und eben in dieser Verriegelung gewannen sie ihren Sinn.""


Der Leser dieser Zeilen mag sich sein eigenes Urteil zu den hier berührten Fragen nach dem Sinnempfinden beim Betrachten von Kunstwerken bilden.

 

 

 

 

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